das deutschbuch. Übungsband 3/4/5 + E-Book

50 4 das/dass dem Luxusproblem, was er mit seiner Freizeit anfangen sollte. Die löbliche „Vita activa“ bestand darin, in den öffentlichen Angelegenheiten mitzumischen. Aber noch freier durfte sich der Mensch seit Aristoteles in der „Vita contemplativa“ fühlen. Was galt es da, in Ruhe zu betrachten? Das Wort „Schole“ für „Muße“ klingt irritierenderweise nach „Schule“. Das ist kein Zufall. Beide Wörter gehen auf ein indogermanisches Verb zurück, das „Herr seiner selbst sein“ bedeutet. Und dass ist man, wenn man Wissen besitzt. In der Schule lernt man, um später einen Beruf zu meistern. In der Freizeit aber betreibt der freie Mensch Studien um ihrer selbst und seiner selbst willen. Er bildet, formt, entfaltet sich, ohne lebenspraktisches Ziel vor Augen, nur aus Liebe zur Weisheit. Nachdenken, meditieren – und dabei die reine Gegenwart genießen. In diesem Sinn schrieb später Thomas Hobbes: „Die Freizeit ist die Mutter der Philosophie.“ Dass gelingt freilich nicht überall. Die Epikureer zogen sich dazu in ihren Garten zurück. Die Römer flohen aus der Urbs aufs Land, weil es dort ruhiger war und das Leben gelassener verlief. Die Natur spielte dabei nur eine Nebenrolle. Erst in der Romantik wandte sich die „Vita contemplativa“ der Betrachtung von Wiese, Wald, Berg und Meer zu. Oder am besten dem See. Denn der Auslöser war eine legendäre Reisereportage von Rousseau. Er verbrachte 1765 knapp zwei Monate auf der Petersinsel im Schweizer Bielersee, um dort – nichts zu tun. Am liebsten legte er sich in einen Kahn, schaute in den Himmel, träumte vor sich hin und ließ sich stundenlang über den See treiben. Später schrieb er: „Ich hätte zwei Jahre, zwei Jahrhunderte, ja die ganze Ewigkeit dort verbracht, ohne mich einen Augenblick zu langweilen.“ Es war „die glücklichste Zeit meines Lebens“. Schön, wenn man das von seinem Urlaub sagen kann. Wir können ja mit kleinen Tricks nachhelfen. Um 1840 herum war es in Paris Mode, seine Schildkröte auf der Straße auszuführen – dass bremst das Tempo ungemein. Heute wäre so etwas wohl zu exzentrisch. Aber schon der Wechsel des Schuhwerks wirkt Wunder: Wer von geschnürten Sneakern auf Flipflops oder ähnliche Patschen umsteigt, schreitet nicht mehr wacker aus, sondern flaniert entspannt herum. Bald setzt man sich auf eine Caféterrasse, lässt dass Treiben an sich vorbeiziehen – und denkt sich dabei so etwas wie der Pariser Philosoph Jacques Brunschwig: „Wer beschäftigt ist, glaubt, etwas tun zu müssen, während die Weisen wissen, das sie zu sein haben.“ Die Grammatikfehler zur das-/dass-Schreibung wurden verlagsseitig für Übungszwecke eingebaut, der Originaltext ist unter folgendem Link abrufbar: Gaulhofer, Karl: Warum fällt uns das Nichtstun im Urlaub so schwer? In: Die Presse, 06.08.2023. Online: https://www.diepresse. com/13928895/warum-faellt-uns-das-nichtstun-im-urlaub-so-schwer?from=rss (26.11.2024) 70 75 80 85 90 MUSTER

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