das deutschbuch. Übungsband 3/4/5 + E-Book

34 3 Groß- und Kleinschreibung Beispieltext: Essay Die neue Niedlichkeit Barbie ist cute, ein Look ist cute, eine Haltung kann es aber auch sein. In dem neuen Modeanglizismus steckt ein Zeitgeist, der das Süße zum ersten Mal ernst nimmt. Eine vielleicht unpopuläre Meinung vorweg: Barbie ist pink und ein Spielzeug für Kinder, aber sie ist nicht niedlich und schon gar nicht cute. Ich meine die Barbie unserer Kindheit, nicht die von Margot Robbie verkörperte Barbie aus dem gleichnamigen Film von Greta Gerwig. Schenkt man den Trailern Glauben, erweist diese sich nämlich zumindest im Verlauf des Filmes als ganz schön cute, und zwar wenn sie echt und lebendig wird, wenn ihre Starrheit und Perfektion schwinden, wenn Hartes, Unnachgiebiges weich und aus dem kalten, da maskenhaften normierten Habitus plötzlich ein warmes, überraschendes und emotionales Verhalten wird. Ziemlich cute ist zum Beispiel der Moment, in dem die blonde Barbie den anderen Barbies ihren plötzlich platt gewordenen Fuß präsentiert. Die Art, wie sie ihr Bein in die Höhe streckt, das Gesicht angewidert verzieht, woraufhin ihre Freundinnen höchst affektiert, mit weit aufgerissenen Augen und Mündern, reagieren, macht die Figuren plötzlich liebenswert. Gerade weil hier etwas nicht so läuft wie erhofft, kann man sich in Barbies Lage hineinversetzen und mit ihr fühlen. Barbie wird cute, weil sie in ihrer Verletzlichkeit gezeigt wird. Einige mögen nun dazu neigen, diese Verletzlichkeit und auch das Niedliche als Schwäche auszulegen. In der Kulturgeschichte wurde das jedenfalls regelmäßig getan. Seit dem Aufkommen der Ästhetik als philosophischer Disziplin wird Niedlichkeit – wenn sie überhaupt Erwähnung findet – als eine kleine und minderwertige Ästhetik beschrieben, die sich vor allem für Frauen eignet. Das sogenannte Kindchenschema provoziert nämlich einen fürsorglichen Blick, Beschützerinstinkte, Care-Bedürfnis – und fällt damit in den Aufgabenbereich von Müttern. Demgegenüber wird das Schöne und Erhabene in seiner Größe und Fähigkeit zur Transzendenz den Männern zugerechnet. Es dürfte nicht weiter überraschen, dass sich das bis ins 20. Jahrhundert (und teilweise bis heute) fortsetzt, wo es auf der einen Seite den häuslichen, niedlichen, runden, weichen Kitsch gibt und auf der anderen Seite die starke, spitze und harte Avantgarde. Natürlich galten Niedlichkeit und Kitsch auf gar keinen Fall als Kunst, sondern dienten der Freude derer, die keine oder nur wenig ästhetische Bildung erfahren haben. Wie hat Clement Greenberg es so schön formuliert? „Kitsch ist nicht Kunst, Kitsch ist geradezu der Gegenbegriff zu Kunst.“ […] Niedlichkeit ist also eine Ästhetik, die eng mit Geschlecht, Klasse und Ethnie verbunden ist. Aus heutiger Perspektive eignet sie sich daher hervorragend dazu, bislang gültige Paradigmen und die damit verbundenen Motive und Narrative zu hinterfragen. Nicht nur etablierte Kunstvorstellungen und Werkformen werden damit herausgefordert – sondern auch das kulturelle Selbstverständnis. 5 10 15 20 25 30 MUSTER

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjg5NDY1NA==