298 Die „Neue Volkspartei“ Bereits 2016 hatte die SPÖ Bundeskanzler Werner Faymann durch Christian Kern ersetzt, dessen Beliebtheit der Partei zunächst Aufwind verschafft hatte. Die erhoffte Trendwende aus Sicht der SPÖ wurde allerdings durch den spektakulären Aufstieg von Sebastian Kurz verhindert, der als Außenminister mit seiner Forderung nach einem strikten Aufnahmestopp von Flüchtlingen in Österreich vor allem im freiheitlichen Lager rasch an Popularität gewonnen hatte. Kurz ließ sich bei seiner Wahl zum ÖVP-Chef mit sämtlichen (auch personellen) Freiheiten ausstatten, konnte also sein Team völlig neu aufstellen und die Partei neu positionieren. Er brach die Koalition mit der SPÖ und führte die ÖVP in Neuwahlen. Die Partei erhielt eine neue Farbe (türkis), hieß ab jetzt „Neue Volkspartei“ und schwenkte in Integrations- und Migrationsfragen nach rechts. Dadurch konnten viele Stimmen von FPÖ und BZÖ, der „Liste Frank“ und aus dem Nichtwählerlager gewonnen werden. Obwohl FPÖ und auch SPÖ (leicht) zulegten, gewann die ÖVP die Wahlen deutlich und erhielt den Regierungsbildungsauftrag. Popstar in Nöten: Ibiza, Corona, Chats Kurz bildete daraufhin mit der FPÖ eine neue Regierung, die einer wirtschaftsliberal-rechtskonservativen Ausrichtung folgte. Die Regierung „Kurz I“ zerbrach im Mai 2019 an der „Ibiza-Affäre“, die Heinz-Christian Strache und den FPÖ-Klubchef Johann Gudenus in den Verdacht von illegaler Parteienfinanzierung und Gesetzeskauf brachte. Der Versuch von Sebastian Kurz, mit einem durch Expertinnen und Experten ergänzten Kabinett bis zu den Neuwahlen im Herbst weiterzuregieren, scheiterte, als ihm der Nationalrat das Misstrauen aussprach. Daraufhin wurde ein Beamtenkabinett unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gebildet. Die darauffolgenden Neuwahlen entschied die ÖVP erneut für sich, während FPÖ und SPÖ große Verluste hinnehmen mussten. Kurz bildete daraufhin eine Koalition mit den ins Parlament zurückgekehrten Grünen unter Vizekanzler Werner Kogler. Die neue Bundesregierung sah sich in den Jahren 2020 und 2021 vor allem mit der Corona-Krise konfrontiert, die ihr drastische Maßnahmen abverlangte. Diese wirkten sich auf Kurz’ Popularität aus, die auch unter veröffentlichten Chat-Protokollen litt. Darin wurde ein sogenanntes „KurzNetzwerk“ sichtbar, das den Verdacht der „Postenschacherei“ nahelegte und Untersuchungen provozierte. Verdacht wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit All diesen Schwierigkeiten zum Trotz – im Frühjahr 2021 begann auch ein Strafverfahren wegen Falschaussage gegen Kurz – wurde er von der Boulevardpresse gefeiert und war auch bei den konservativen Zeitungsherausgebern beliebt. Dass dies mit üppigen Regierungsinseraten und erhöhter staatlicher Presseförderung zu tun hat, wurde von Kurz und seinem Umfeld stets bestritten. Dennoch folgte im Oktober 2021 eine Hausdurchsuchung in der ÖVP-Klubzentrale und im Bundeskanzleramt. Auf Druck des Koalitionspartners trat Kurz als Bundeskanzler erneut zurück und erklärte nur wenig später seinen vollständigen Rückzug aus der Politik. Auf Kurz folgten mit Alexander Schallenberg, Karl Nehammer und Christian Stocker (seit 2025) drei Bundeskanzler aus der ÖVP. Van der Bellens Wahl hatte die großen Schwächen der ehemaligen Großparteien offengelegt. Der erst 31-jährige Außenminister Sebastian Kurz übernahm 2017 die nicht mehr kampagnenfähige ÖVP. Durch eine radikale Kursänderung und seine hohen Popularitätswerte brachte er der ÖVP den Erfolg zurück. Die geschlagene SPÖ ging in die Opposition. Österreichische Perspektive: die Ära Sebastian Kurz 6.16 M 1: Sebastian Kurz (*1986) war bis 2021 österreichischer Bundeskanzler und Obmann der ÖVP. Davor war er von 2013 bis 2017 Außenminister und Staatssekretär für Integration (2009 – 2013). Foto, 2020. M 2: Brigitte Bierlein (1949–2024) war als erste Frau Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und von Juni 2019 bis Anfang 2020 erste Bundeskanzlerin Österreichs. Foto von Karl Gruber, 2019. M 3: Karl Nehammer (* 1972) war von 2021–Anfang 2025 österreichischer Bundeskanzler und Obmann der ÖVP. Zuvor war er in der Regierung von Sebastian Kurz Innenminister. Foto, 2021. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 MUSTER
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