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296 Die Wirtschaftskrise und Österreich Kurz bevor die Österreicherinnen und Österreicher im Oktober 2008 zur Nationalratswahl schritten, ging in New York die US-Investmentbank Lehmann Brothers in Konkurs. Die Neuwahlen – Vizekanzler Molterer hatte sie mit dem Ausspruch „Es reicht!“ vom Zaun gebrochen – endeten mit kräftigen Zugewinnen der FPÖ und Verlusten der beiden Regierungsparteien, die sich zwei Jahre lang gegenseitig attackiert hatten. Dennoch bildeten sie mit neuem Personal erneut eine Regierung, die sich in der nun voll ausgebrochenen Krise der Weltwirtschaft bewähren konnte. Einmal mehr führte die Zusammenarbeit der SPÖ als Vertreterin der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der ÖVP als eher den selbstständig Wirtschaftstreibenden verpflichtete Partei zu einem Interessenausgleich. Durch ein gigantisches Bankenrettungspaket von über 100 Milliarden Euro konnte das österreichische Bankensystem rasch gesichert werden. Unter Einbindung der ÖVP-dominierten Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung auf der einen, ÖGB und Arbeiterkammer auf der anderen Seite konnten rasch Konjunkturpakete geschnürt und eine Steuerreform ausverhandelt werden, die den Wirtschaftseinbruch dämpfen konnten. Reformstau und Straches Siegeszug Trotz dieser erfolgreichen Krisenpolitik blieb die Große Koalition unbeliebt. Dennoch bestand die Regierungsform auch nach der Wahl 2013 weiter. Insbesondere im Pflegebereich, aber auch im Bildungssektor und bei Integrationsfragen blieb die Regierung unter Bundeskanzler Werner Faymann und den Vizekanzlern Spindelegger und Mitterlehner innovative Ansätze und Lösungen schuldig. Zu groß waren die ideologischen Auffassungsunterschiede über die Gestaltung der Zukunft. Ähnliches galt für die Forschungsförderung, die Weiterentwicklung des Verkehrssystems und der damit zusammenhängenden Klimapolitik. Während die Koalitionsparteien stetig Wählerstimmen einbüßten, wurde die rechtspopulistische FPÖ immer erfolgreicher. Die Migrationsbewegungen von 2015 verstärkten diesen Trend. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache entwickelte Haiders unkonventionellen Politikstil weiter und verschärfte dessen antieuropäische Rhetorik. Besonders aggressiv trat die FPÖ gegenüber Muslimen auf, was sich in islamophoben Wahlslogans wie „Daham statt Islam“ oder „Pummerin statt Muezzin“ niederschlug. 2016: eine ungewöhnliche Wahl 2016 gelang es dem freiheitlichen Kandidaten Norbert Hofer beinahe, die Bundespräsidentschaftswahlen für sich zu entscheiden. Mit 42,6 Prozent erreichte er das mit Abstand beste Ergebnis der FPÖ in der Geschichte der Republik, musste sich aber dennoch Alexander Van der Bellen geschlagen geben, der seither österreichischer Bundespräsident ist. Die Wahlen waren in mehrfacher Hinsicht besonders. Einerseits scheiterten erstmals in der Republikgeschichte beide Kandidaten der ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ im ersten Wahlgang. Andererseits musste der zweite Wahlgang wegen Unstimmigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen wiederholt werden. Nach dem Scheitern von Schwarz-Blau I folgte ein weiteres Jahrzehnt der Großen Koalition. In diesem zeigten sich sowohl die Vor- als auch die Nachteile dieses Regierungsbündnisses. Trotz Differenzen in beiden Parteien war es durch die Zusammenarbeit doch möglich, die heftigen Auswirkungen der Wirtschaftskrise nach 2008 von Österreich großteils fernzuhalten. M 1: Norbert Hofer (*1971) war 2013– 2017 und 2019–2024 dritter Nationalratspräsident und 2017– 2019 Infrastrukturminister. 2016 belegte er den zweiten Platz bei der Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten. Foto von Franz Perc, 2018. Österreichische Perspektive: Reformstau und Populismus 6.15 M 2: Alexander Van der Bellen (*1944) ist seit 2016 österreichischer Bundespräsident. Foto von Mykhailo Palinchak, 2018. M 3: Auf der Website des Innenministeriums sind alle Wahlergebnisse der Republikgeschichte veröffentlicht. https://www.bmi.gv. at/412/Bundespraesidentenwahlen/Bundespraesidentenwahl_2016/start.aspx 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER

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