288 Der „Brexit“ und die Zukunft der Europäischen Union 6.11 Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU 2012 wurde die EU für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Der Preis warf eine alte Debatte innerhalb der EU wieder neu auf: Wie soll die Europäische Integration künftig besser gestaltet werden? Dass sich die EU-Mitgliedsstaaten darüber nicht einig waren, zeigte sich auch an der Gästeliste der Preisverleihung: Der damalige britische Premier David Cameron hatte seine Teilnahme abgesagt. Großbritanniens EU-Austritt Schon immer hat Großbritannien eine besondere Rolle innerhalb der EU eingenommen: Ausnahmeregelungen („optout-Klauseln“) erlaubten es, nicht an allen EU-Integrationsschritten teilnehmen zu müssen. Auch eine zunehmende EUSkepsis und EU-feindliche Medien kennzeichneten die britische Haltung gegenüber der EU. 2013 hatte Premier David Cameron im Falle eines Wahlsiegs eine Abstimmung über den Verbleib seines Landes in der EU versprochen. Cameron siegte 2015 und erhielt daraufhin einige Zugeständnisse von der EU wie z. B. verringerte Sozialleistungen an neu zugewanderte EU-Bürgerinnen und EU-Bürger. Bei der angekündigten Volksabstimmung am 23. Juni 2016 stimmten dennoch 51,9 % für einen Austritt Großbritanniens aus der EU, bei einer Wahlbeteiligung von 72,2 %. Im März 2017 begannen die Austrittsverhandlungen mit der EU, die nach etlichen Verlängerungen am 31. Jänner 2020 in einem Austritt („Brexit“) mündeten. Damit erlitt nicht nur das „EU-Integrationsprojekt“ einen enormen Rückschlag. Mit dem „Brexit“ hat auch die zweitgrößte EU-Volkswirtschaft die Europäische Union verlassen. „Remain“ versus „Leave“ In der britischen Gesellschaft machte die Brexit-Kampagne Risse sichtbar: Jüngere und urbane Wählerinnen und Wähler sowie die schottische und nordirische Bevölkerung haben mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Personen vom Land bzw. in Vierteln mit einem hohen Migrationsanteil stimmten eher für den Austritt. Besonders viele junge Wählerinnen und Wähler, die mehrheitlich für einen Verbleib eintraten, sind den Urnen ferngeblieben. Zudem haben vor allem EU-Gegnerinnen und -Gegner häufig mit falschen Angaben Stimmung gemacht. Rote Linien für Polen und Ungarn? Die Einigung auf gemeinsame EU-Spielregeln gestaltet sich auch mit anderen EU-Mitgliedern zunehmend schwieriger. Im Sommer 2021 hat die Europäische Kommission ein Verfahren gegen Ungarn und Polen wegen Verletzung der Grundrechte von LGBTQ+ eingeleitet. Neben unterschiedlichen EU-Zielvorstellungen stellt sich die Frage: Was passiert, wenn sich EU-Mitglieder nicht an Regeln halten? Sollen im Streit um Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der EU-Menschenrechte-Charta Sanktionen eingefordert werden, obwohl die ungarische und polnische Bevölkerung zu den europabegeistertsten der Union gehört? Oder wäre es sinnvoller, die Zivilgesellschaft zu stärken, statt Strafen zu erteilen? Um Antworten auf diese Fragen wird gerungen, weil die Folgen für die EU mitunter unabsehbar sind. LGBTQ+: engl. für Lesbian Gay Bisexual Trans gender, Queer; „+“ bezeichnet weitere Geschlechtsidentitäten und Sexualpräferenzen „In Vielfalt geeint“ lautet das Motto der Europäischen Union (EU). Die Einigung der damals 28 EU-Staaten erlebte im Februar 2020 jedoch einen Bruch. Erstmals hieß es, von einem EU-Mitglied Abschied zu nehmen. Der Austritt Großbritanniens hat eine Frage neu entfacht: Wie kann eine Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten mit unterschiedlichen Interessen gelingen? M 1: David Cameron (*1966), war von 2010 bis 2016 Premierminister des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Parteivorsitzender der Conservative Party 2005 – 2016. Er initiierte das Brexit-Referendum und trat danach zurück, da er für den Verbleib in der EU eingetreten war. Foto, 2010. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER
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