272 Außereuropäische Perspektive: globaler Terrorismus II 6.3 In der öffentlichen Wahrnehmung sind Terroranschläge rechter und linker Extremisten weniger präsent als die medial stärker rezipierten Terrorakte islamistischer Terroristen. Nach 9/11 und dem Kampf gegen Al Qaida ist in den letzten zehn Jahren insbesondere der Umgang mit dem IS zu nennen. Auch terroristische Angriffe über das Internet nehmen im 21. Jahrhundert zu. Terror als religiöse Pflicht? Viele Terrorgruppen wie die katholische IRA oder die muslimische Hamas weisen eine stark religiöse Komponente auf, vorrangiges Ziel waren und sind aber politische Zugeständnisse. Für Terrororganisationen wie Al Qaida oder den durch das Machtvakuum (s. 6.10) in Syrien und im Irak entstandenen IS (Islamischer Staat) stellen die religiöse Überzeugung und das religiöse Gebot zum Kampf gegen einen andersgläubigen Feind aber ein zentrales Merkmal dar. Diese Art von religiösem Terrorismus rechtfertigt Gewaltanschläge mit einer „heiligen Pflicht“. Durch diesen Fanatismus ist auch die hohe Anzahl an Selbstmordattentäterinnen und -attentätern unter religiös motivierten Terrorgruppen erklärbar. Dieser Fanatismus ist aber kein Alleinstellungsmerkmal islamischer Terrorgruppen: Mitglieder der japanischen Ōmm-Shinrikyō, einer religiösen Sekte, waren 1995 verantwortlich für einen Giftgas-Anschlag auf die U-Bahn in Tokio. Der Attentäter Yitzhak Rabins (s. 5.18), Jigal Amir, berief sich nach seiner Tat direkt auf einen angeblichen Befehl Gottes. Radikalisierung in Europa Falschinterpretationen religiöser Lehren sind insbesondere für das Anwerben neuer Rekrutinnen und Rekruten von Bedeutung. Enttäuschte, frustrierte Menschen gelten als besonders beeinflussbar und sind so leichte Ziele für die Anwerberinnen und Anwerber der Terrorgruppen, die mittlerweile vor allem in den sozialen Netzwerken präsent sind. Gruppen wie der IS versuchen mittels aggressiver Internetpropaganda, muslimische Jugendliche zu einem „Heiligen Krieg“ (Dschihad) aufzurufen. Sie stellen ihn als vermeintliche Pflicht dar, spielen bewusst mit Ängsten und greifen Diskriminierungserfahrungen der Jugendlichen auf, um sie zu radikalisieren. Auf der anderen Seite bieten sie eine vermeintliche Orientierung und Halt an. Den Vorgang der Rekrutierung nachzuzeichnen, ist aber schwierig, da es nur wenige „Aussteigerinnen“ und „Aussteiger“ gibt, die davon berichten. Cyberterrorismus Angriffe auf Staatsorgane und Wirtschaftsinstitutionen verlagern sich im 21. Jahrhundert vermehrt ins Internet. Unter dem Begriff „Cyberterrorismus“ werden alle Aktivitäten zusammengefasst, bei denen Angriffe auf Datenverarbeitungsanlagen und Netzwerke verübt werden. Durch die immer stärker werdende Digitalisierung wirtschaftlicher und administrativer Prozesse rücken mögliche Cyberterrorismus-Angriffe auf Stromnetze, Industriekraftwerke oder Wasseraufbereitungsanlagen in den Bereich des Möglichen. Während diese Szenarien in der Realität erst in kleinem Umfang stattgefunden haben, geraten Hacker-Angriffe auf Regierungsbehörden oder Konzerne seit Beginn des neuen Jahrtausends in den Fokus der Terrorbekämpfung: Sie fordern zwar keine zivilen Todesopfer, verursachen aber hohe finanzielle Schäden. Unklar ist auch, wie viele Hacker-Angriffe auf das Konto von staatlich unterstützten Hacker-Gruppen gehen, die Angriffe auf die Industrie und Regierungsbehörden anderer Nationen durchführen. M 1: Blumen und Kerzen auf dem Breitscheidplatz nahe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin erinnern an den Anschlag vom 19. Dezember 2016. Hier raste der Attentäter Anis Amri während des Weihnachtsmarktes mit einem zuvor gestohlenen LKW in eine Menschenmenge und tötete 12 Personen, 67 wurden verletzt. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) behauptete, Anis Amri habe in ihrem Auftrag gehandelt. Foto von Matthias Lüdecke, 2016. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER
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