248 Proteste und Sanktionen Wegen der Massenproteste auf dem Heldenplatz musste die neue Bundesregierung durch einen unterirdischen Tunnel zu ihrer Angelobung in die Präsidentschaftskanzlei gehen, wo sie ein unterkühlter Bundespräsident Thomas Klestil erwartete, der seinen Widerwillen gegenüber der neuen Regierungskonstellation öffentlich zur Schau stellte. Aber nicht nur im Inland gab es ablehnende Reaktionen: Bereits am 31. Jänner hatten damals vierzehn EUMitgliedsstaaten erklärt, alle „bilateralen offiziellen Kontakte“ mit der österreichischen Bundesregierung auf das notwendige Mindestmaß zu reduzieren. So wollten sie im allerletzten Augenblick den Regierungseintritt der FPÖ verhindern, tatsächlich stärkten sie dadurch die neue Regierung aber. Denn die EU-Sanktionen wurden von vielen Österreicherinnen und Österreichern als Einmischung wahrgenommen. Die europäischen Partner lenkten ein, ein „Weisenrat“ empfahl nach einer mehrwöchigen Beobachtungsphase die Wiederaufnahme der Beziehungen. Schüssels Triumph Wolfgang Schüssel stand am Gipfel seiner politischen Karriere. Aus den Nationalratswahlen 1999 war seine Partei nur als drittstärkste Kraft hervorgegangen, dennoch war es ihm gelungen, die SPÖ in die Opposition zu verbannen und mithilfe der FPÖ Bundeskanzler zu werden. Als die anfänglichen Schwierigkeiten überstanden waren, versuchte die als „Wenderegierung“ angetretene Koalition einige tiefgreifende Reformen umzusetzen: das populäre „Kindergeld für alle“ sollte Familien stärken. Die neu eingeführten Studiengebühren sowie die Ambulanzgebühr oder eine Pensionsreform brachten allerdings starke Einschnitte für sozial Schwächere. Da die FPÖ ihre Erfolge vor allem deren Stimmen verdankte, erlitt sie bei den folgenden Landtagswahlen in Wien 2001 schwere Verluste. Haider, der selbst nicht Teil des Regierungsteams war, begann, die eigene Partei zu attackieren. Bei einem außerordentlichen Parteitag im steirischen Knittelfeld revoltierten im September 2002 schließlich über 400 Parteimitglieder gegen den Regierungskurs. Das freiheitliche Regierungsteam trat am nächsten Tag zurück, Neuwahlen waren die Folge. Während die FPÖ abstürzte, gewann die ÖVP mit großem Vorsprung. Die „Wende“ am Ende Wolfgang Schüssel bildete erneut eine Regierung mit den Freiheitlichen. Als sich deren nationaler Flügel 2005 erneut gegen den Regierungskurs wehrte, spaltete Haider die Partei und gründete das „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ), das in der Regierung verblieb, während die Rest-FPÖ in Opposition ging. Ihrem neuen Führungsteam rund um HeinzChristian Strache und Herbert Kickl gelang es aber mit extremem Rechtspopulismus, das BZÖ zu überflügeln. Schüssel regierte zunächst mit dem BZÖ weiter, die Probleme des Koalitionspartners und auch die öffentlichen Diskussionen um den sehr teuren Einkauf von 18 Eurofightern im Jahr 2002 schadeten aber letztlich auch der ÖVP, die in den Nationalratswahlen 2006 nur den zweiten Platz hinter der SPÖ belegte. Am 4. Februar 2000 wurde die erste Koalitionsregierung aus ÖVP und FPÖ angelobt. Angetreten mit dem Anspruch, Österreich „neu zu regieren“, blieben von „SchwarzBlau“ vor allem Skandale und ein nie da gewesener Absturz einer Regierungspartei bei den Nationalratswahlen 2002. M 1: Die versteinerte Miene von Bundespräsident Klestil während der Angelobung zeigte dessen Abneigung für Schwarz-Blau. Foto, 2000. M 2: Wolfgang Schüssel (* 1945) war von 2000 bis 2007 Bundeskanzler, davor Außenminister und Wirtschaftsminister. Er gehört in diesen Funktionen ab 1987 der österreichischen Bundesregierung an, ab 1994 als Vizekanzler. 2007–2008 war er Klubobmann der ÖVP im Nationalrat. Österreichische Perspektive: die erste ÖVP-FPÖ-Koalition 5.15 EU-Sanktionen, die: Die Reduzierung der bilateralen Kontakte mit Österreich durch die vierzehn EU-Partnerstaaten im Jahr 2000 wurde von der neuen österreichischen Regierung als „Sanktionen“ bezeichnet. Weisenrat, der: ein Gremium aus drei ehemaligen Politikern 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER
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