Denkmal 7/8 + E-Book

246 M 1: Das legendäre „Busserl“ von ÖVPAußenminister Alois Mock für seine Staatssekretärin Brigitte Ederer von der SPÖ. Foto, 1994. Die Euphorie nach dem EU-Beitritt Die Begeisterung innerhalb der österreichischen Bundesregierung über den positiven Ausgang der Volksabstimmung war groß. Eine Anekdote verdeutlicht das: So soll ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek am Abend des 12. Juni 1994, dem Tag der Abstimmung, im Festzelt der SPÖ lautstark „Die Internationale“ mitgesungen haben. Fotografisch festgehalten wurde das berühmte „Busserl“ von Außenminister Mock (ÖVP) für Staatssekretärin Brigitte Ederer (SPÖ) nach dem Abschluss der Verhandlungen mit der EU. Ein jahrelanger Verhandlungsprozess war erfolgreich abgeschlossen worden, die Republik Teil des europäischen Projektes – Parteigrenzen und -differenzen waren dem höheren Ziel der EU-Mitgliedschaft untergeordnet worden, die Große Koalition hatte sich als Regierungsform bewährt. Die FPÖ radikalisiert und gewinnt Aber schon bald nach dem Beitritt 1995 wurde sichtbar, dass die Partnerschaft der Parteien ohne ein gemeinsames, übergeordnetes Ziel nicht so gut funktionierte. Die FPÖ, die 1986 von Jörg Haider übernommen worden war, zeigte sich EUkritisch. Haiders antieuropäische und ausländerfeindliche Rhetorik sprach viele Österreicherinnen und Österreicher an und kostete beide Großparteien viele Stimmen. Mit dem „Österreich zuerst“- Volksbegehren, das sich gegen Zuwanderung richtete, hatte die FPÖ eine Richtung eingeschlagen, die sie bis heute prägt. Mit dem Mobilisieren gegen Zuzug aus dem Ausland, EU-kritischen Positionen und einem aggressiven Auftritt gegen den Proporz der beiden Großparteien eilte Haider von einem Wahlsieg zum nächsten. Trotz seiner problematischen Haltung gegenüber der NS-Vergangenheit und seiner nationalsozialistischen Aussagen wurde er 1999 mit mehr als 42 Prozent zum Kärntner Landeshauptmann gewählt und stand unangefochten an der Spitze der Bundes-FPÖ. Die Große Koalition taumelt … Sein politisches Gegenüber, die Regierung aus SPÖ und ÖVP, verstrickte sich darüber hinaus in Streitigkeiten. Bereits 1995 hatte der neue ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel Neuwahlen vom Zaun gebrochen, nachdem er sich bei den Budgetverhandlungen nicht mit der SPÖ einigen konnte. Als diese Verluste für die ÖVP und Zugewinne für die SPÖ brachten, einigten sich beide Parteien erneut auf eine Große Koalition, weil beide eine Zusammenarbeit mit Haiders FPÖ ausschlossen und mit den Grünen und dem Liberalen Forum rechnerisch keine Mehrheit bestand. Um den neu definierten „Maastricht-Kriterien“ zu entsprechen und sich für die anstehende Währungsunion (EURO) wirtschaftspolitisch zu rüsten, musste 1996 ein großes Sparpaket beschlossen werden, wodurch die SPÖ-ÖVP-Regierung weiter an Popularität verlor. … und fällt. Viktor Klima folgte im Jänner 1997 Franz Vranitzky als Bundeskanzler nach. Auch er konnte die Brüche im Regierungsteam nicht mehr kitten. Nach den Nationalratswahlen 1999, die herbe Verluste für SPÖ und ÖVP brachten und die FPÖ zur zweitstärksten Partei im Land machten, war an eine Fortführung der Großen Koalition nicht mehr zu denken. Während die erste Hälfte der 1990er-Jahre von der Vorbereitung auf den EU-Beitritt geprägt war, standen in der zweiten Hälfte innenpolitische Auseinandersetzungen im Mittelpunkt, an deren Ende die SPÖ die Kanzlerschaft verlor. Das Jahrzehnt veränderte das gesellschaftliche Klima in Österreich stark. Österreichische Perspektive: Rot-Schwarz führt in die EU 5.14 Proporz, der: die Einflussnahme der Parteien auf die Postenverteilung in staatsnahen Bereichen und Betrieben (z. B. ÖBB oder ORF) Internationale, die: Kampflied der Arbeiterschaft, das auch zur Partei-Hymne vieler sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien wurde Liberale Forum, das: Liberale Kleinpartei, die sich nach dem „Österreich zuerst“- Volksbegehren unter der Führung von Heide Schmidt von der FPÖ abgespaltet hatte. 1999 fiel das Liberale Forum aus dem Nationalrat und schloss sich später mit NEOS zusammen. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER

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