238 Ambitionen, Annäherungen, Spannungen und Spaltungen: So kennzeichnet sich die Entwicklung der Europäischen Union (EU) seit dem Maastricht-Vertrag 1992. Ihre Anstrengungen, sich von einem wirtschaftlich-bürokratischen Gebilde zu einem „Europa der Bürgerinnen und Bürger“ zu entwickeln, tragen langsam Früchte. Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien ab 1991 hatten den europäischen Staaten gezeigt, dass sie über kein politisches Instrument verfügten, um gemeinsam für Frieden auf dem Kontinent einzutreten. Nach zahlreichen wirtschaftlichen Annäherungsschritten folgte daher eine wichtige Weichenstellung für eine politische Integration der europäischen Staaten: Nach dem Vertrag von Maastricht wurde 1993 aus der Europäischen Gemeinschaft (EG) die Europäische Union (EU). Neben einer beginnenden gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Justizpolitik sowie dem Beschluss einer „Währungsunion“ verlieh er der Bevölkerung zusätzliche Rechte: Mit der „Unionsbürgerschaft“ in Ergänzung zur Staatsbürgerschaft konnten sich Bewohnerinnen und Bewohner der Mitgliedsländer fortan überall in der EU niederlassen und waren dort bei Kommunalwahlen auch wahlberechtigt. Der Vertrag von Amsterdam, der 1999 in Kraft getreten war, entwickelte den Vertrag von Maastricht weiter und machte EU-Bürgerrechte, Freizügigkeit und die Beschäftigungspolitik zu Anliegen der EU. 2003 trat der Vertrag von Nizza in Kraft, in dem vor allem Entscheidungsverfahren innerhalb der EU geändert wurden, damit diese auch nach den bevorstehenden EUErweiterungen beschlussfähig blieb. Erweiterungen 1995 traten Finnland, Österreich und Schweden der EU bei. 2004 fand die erste „Osterweiterung“ statt: Mit Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern erhöhte sich die Zahl der EU-Mitglieder auf 25. 2007 folgten Bulgarien und Rumänien, 2013 Kroatien. Von den „Westbalkanländern“ haben Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien den Status von EU-Beitrittskandidaten. Norwegen und die Schweiz schlossen zwar zahlreiche Abkommen mit der EU ab, wurden jedoch nie Mitgliedsstaaten. Mit der Türkei besteht seit 1963 ein „Assoziierungsabkommen“, 2005 wurden Beitrittsverhandlungen aufgenommen, die jedoch immer wieder ins Stocken gerieten. Vertrag von Lissabon Der 2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon hatte das Ziel, der EU mehr Handlungsfähigkeit zu verleihen und mehr Nähe zur Bevölkerung herzustellen: Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente wurden im EURechtsetzungsprozess gestärkt. Mit der Europäischen Bürgerinitiative wurde ein neues Beteiligungsinstrument für die Zivilgesellschaft eingeführt. Die EU-Grundrechtecharta wurde als einklagbares Recht festgelegt. Neue Herausforderungen Mangelnde demokratische Mitwirkung bei der Bewältigung von (wirtschaftlichen) Krisen und der Umgang mit vertriebenen und geflohenen Menschen bringen der EU immer wieder viel Kritik ein. Insbesondere rechtspopulistische Parteien sehen ihre nationalen Identitäten von der EU bedroht. Besonders Ungarn und Polen rücken dazu immer weiter von demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen ab und provozieren damit ihre EU-Partner. Die Europäische Integration II 5.10 M 2: Die „Kopenhagener Kriterien” wurden am 22. Juni 1993 in Kopenhagen beschlossen und regeln die Grundbedingungen, die Staaten für einen EU-Beitritt erfüllen müssen. Dazu gehören die Einhaltung der Menschenrechte, der Schutz von Minderheiten sowie demokratische und rechtsstaatliche Grundordnungen, zu denen auch die Medienfreiheit zählt. Seit einigen Jahren wird immer offensichtlicher, dass diese Standards auch in Ländern innerhalb der EU nicht immer eingehalten werden, beispielsweise in Ungarn und Polen. M 1: Die Regierungschefs und die Regierungschefin der sogenannten „Visegrad-Staaten“ – Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn – die oft gemeinsame Interessen in den EUGremien vertreten. Foto von Alik Keplicz, 2017. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER
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