Denkmal 7/8 + E-Book

232 Das blockfreie Jugoslawien Jugoslawien war in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall in der Staatenwelt des (süd-)östlichen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Als führendes Mitglied der Bewegung der Blockfreien Staaten verstand es sich als sozialistisches Land zwischen „Ost“ (Warschauer Pakt) und „West“ (NATO) zu positionieren. Dazu kamen eine relative politische Liberalität und Wohlstand innerhalb der Bevölkerung, die den jugoslawischen Alltag deutlich von jenem in den Staaten des Warschauer Paktes unterschieden. Aufkommender Nationalismus Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten und ungleicher Entwicklungen in den einzelnen Teilrepubliken Jugoslawiens kam es in den 1980erJahren zu einem zunehmenden Nationalismus, den sich etwa der Serbe Slobodan Milošević oder der Kroate Franjo Tuđman für realpolitische Veränderungen zunutze machen wollten. Entgegen den staatlichen Bemühungen um eine gesamtjugoslawische Identität handelten die einzelnen Teilrepubliken zunehmend wie ethnische Nationalstaaten, obwohl die Bevölkerung von Binnenmigration und sogenannten „Mischehen“ geprägt war. 1981 machten Massenproteste im mehrheitlich albanischen Kosovo und ein sinkender serbischer Bevölkerungsanteil die autonome Provinz im Süden des Landes zu einem Brennpunkt des beginnenden Zerfallsprozesses. Ebenso wurde die serbische Minderheit in Kroatien sowie die albanische Minderheit in Mazedonien durch die dortigen nationalistischen Narrative exkludiert, während sich das bosniakisch-serbisch-kroatische Bosnien-Herzegowina als besonders komplex darstellte. Spiegelbilder der Entfremdung Gerade der Sport, der aufgrund der vielen Erfolge von jugoslawischen Ballsportteams lange Zeit als Sinnbild der gesamtjugoslawischen Errungenschaften interpretiert wurde, entwickelte sich allmählich zu einem Spiegelbild der Entfremdung zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen. Der aufkommende Nationalismus prägte zunehmend das Geschehen auf den Fantribünen, wo nationalistische Symbole und Gesänge zu sehen und zu hören waren. Dies zeigte sich auch in den schweren Ausschreitungen im Mai 1990, die das Spiel zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad verhinderten. Aus den Reihen der Anhänger derartiger, ehemals jugoslawischer Fußballvereine zogen außerdem ab 1991 viele als Mitglieder paramilitärischer Einheiten in den Krieg. Institutioneller Zerfall Wie in anderen Staaten des (süd-)östlichen Europas konnte auch in Jugoslawien die Kommunistische Partei Ende der 1980er-Jahre nicht mehr auf ihr bisheriges Machtmonopol pochen. Die ersten Mehrparteienwahlen wurden 1990 jedoch lediglich auf der Ebene der Teilrepubliken abgehalten, was die Legitimität des Bundes untergrub. Nationale Parteien gingen aus den Wahlen als stimmenstärkste Fraktionen hervor und schrieben den institutionellen Zerfall Jugoslawiens fort. Am 25. Juni 1991 proklamierten Slowenien und Kroatien schließlich ihre Unabhängigkeit. In den 1980er-Jahren führte der aufkommende Nationalismus zunehmend zu einer Entfremdung der sozialistischen Teilrepubliken Jugoslawiens. Politiker (ausschließlich Männer) versuchten mit Erfolg, die einzelnen ethnischen Gruppen gegeneinander auszuspielen. Anfang der 1990er-Jahre zerfiel Österreichs Nachbarland schließlich. Der institutionelle Zerfall Jugoslawiens 5.7 M 1: Slobodan Milošević (1941–2006) war von 1986 bis 2000 in verschiedenen Funktionen der bestimmende Politiker Serbiens und ab 1997 Staatspräsident der Bundesrepublik Jugoslawien. Foto von Cornelius Poppe, 1995. M 2: Franjo Tuđman (1922–1999), ehemaliger kroatischer Präsident. Foto, unbekannt, 1992. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER

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