Denkmal 7/8 + E-Book

228 Freie Wahlen in Polen Die 1980 entstandene Gewerkschaft Solidarność spielte beim Übergang von der kommunistischen Volksrepublik Polen zur demokratischen Republik Polen eine entscheidende Rolle. Erneute Streikbewegungen führten 1989 zu Verhandlungen zwischen Vertretern u. a. der regierenden Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), der Solidarność unter der Führung des späteren Staatspräsidenten Lech Wałęsa (1990–1995) und der katholischen Kirche. Die Gespräche führten zunächst zu teilweise freien Wahlen im polnischen Parlament, welche wiederum den Wandel zu einer pluralistischen Demokratie beschleunigten. Zum Ende des Jahres 1989 wurde die Verfassung geändert, wodurch der Führungsanspruch der PZPR abgeschafft wurde und die Republik Polen einen Systemwechsel hin zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie vollzog, die für viele Staaten im zentralen und östlichen Europa eine Vorbildfunktion einnahm. Die ersten gänzlich freien Wahlen fanden schließlich im Oktober 1991 statt. Ungarn und die ČSSR In Ungarn war nach der Niederschlagung des Aufstandes 1956 János Kádár mit Moskaus Segen an die Spitze von Partei und Staat gelangt. Bis zu seinem Rücktritt 1988 folgten innenpolitische und wirtschaftliche Liberalisierungen, wobei ein autoritärer Stil beibehalten wurde und die ideologische Grundlage des Staates nicht infrage gestellt werden durfte. Ende der 1980er bildeten sich Oppositionsgruppen, Reisefreiheit wurde gewährt und im Oktober 1989 wurde die Republik Ungarn ausgerufen. Die Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR) fand im Rahmen der „Samtenen Revolution“ im November/ Dezember 1989 ein weitgehend friedliches Ende. Der in der Verfassung festgehaltene Führungsanspruch der KP wurde aufgehoben und freie Wahlen für 1990 angesetzt. Mit 1. Jänner 1993 wurden Tschechien und die Slowakei schließlich unabhängige Republiken. Legitimationsverluste der Partei Auch im südöstlichen Europa kam es zwischen 1989 und 1991 zum Zerfall der kommunistischen Regime. Wenn auch lokale Unterschiede eine starke Auswirkung auf Tempo, Ausprägung und Kontinuitäten im Übergang nahmen, gab es mehrere Faktoren, die die Gleichzeitigkeit in den verschiedenen Staaten, parallel zu den Entwicklungen in Zentraleuropa, begünstigten. Wirtschaftliche Schwierigkeiten führten in allen Ländern zu einer Stagnation oder einer Verringerung des Lebensstandards, was sich oftmals in Versorgungsengpässen, Stromknappheit und einem allgemeinen Mangel an Konsumgütern ausdrückte. Staatliche Reformen, so sie durchgeführt wurden, konnten die Probleme der wachsenden Arbeitslosigkeit und hohen Inflation nicht entschärfen. Der gesellschaftliche Aufstieg, den die Nachkriegsgeneration erlebt hatte, war für die nachkommende Generation in den 1970ern und 1980ern nicht mehr erreichbar. Dazu waren Zwang und Gewalt die vordergründige Antwort auf Widerspruch und Protest. Diese Faktoren führten zu einem internen Aufbegehren, während die sowjetischen Reformbemühungen unter Gorbatschow die Legitimität der jeweiligen Landes-KPs von außen untergrub. Zwischen 1989 und 1991 veränderte sich die Landkarte Europas. Die Tschechoslowakei teilte sich in zwei unabhängige Staaten, die DDR ging in einem vereinigten Deutschland auf, und aus der Volksrepublik Polen wurde die Republik Polen. All diese Änderungen resultierten aus dem Prozess eines systemischen Wandels von kommunistischen Staaten zu pluralistischen Demokratien. Der demokratische Wandel im (süd-)östlichen Europa I 5.5 M 1: Lech Wałęsa (* 1943), ehemaliger Gewerkschaftsführer und polnischer Staatspräsident (1990–1995). Foto von Matthias Lüdecke, 2000. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER

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