226 Reformen und Demonstrationen Unter dem seit 1985 amtierenden Generalsekretär Michail Gorbatschow wurden Reformen (Perestrojka und Glasnost, s. 5.1) eingeleitet, die Antwort auf die immer evidenter werdenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme sein sollten. In Kombination mit sich unerwartet rasch formierenden national-separatistischen Bewegungen kam so jedoch eine dynamische Spirale in Gang, die letztlich der herrschenden Partei die Legitimation und damit ihre Machtbasis in der Union entzog. Demonstrationen für nationale Souveränität prägten die Politik im Baltikum und im Kaukasus. Im April 1989 wurde eine Demonstration vor dem georgischen Parlament brutal niedergeschlagen. Am 23. August 1989 bildete sich im Rahmen der „Singenden Revolution“ eine Menschenkette von Tallinn (Estland) nach Vilnius (Litauen). Anlass war der 50. Jahrestag des deutsch-sowjetischenNichtangriffspaktes. Das Ende der Sowjetunion Im Laufe der Jahre 1990/1991 erklärten sich die einzelnen Sowjetrepubliken nach und nach für unabhängig von der Union. Den Anfang machten erneut die drei baltischen Staaten. Einen Höhepunkt im Zerfallsprozess stellte der Augustputsch in Moskau 1991 dar, bei dem sich konservative Kräfte in der KPdSU gegen Gorbatschow stellten. Der Präsident der russischen Teilrepublik, Boris Jelzin, führte den erfolgreichen Widerstand gegen den Putsch an und wurde spätestens damit zur zentralen politischen Figur im Land. Im Dezember 1991 trat Gorbatschow als Präsident der Sowjetunion zurück, nur Tage danach hörte das Land auf, zu existieren. Chaos in Russland Russland sah sich ab Jänner 1992 als Rechtsnachfolger der UdSSR und übernahm deren Rolle auf dem internationalen Parkett. Unter Jelzin zerfielen weite Teile der politischen Strukturen Russlands. Sie wurden durch eine zersplitterte Ordnung ersetzt, in der Oligarchinnen und Oligarchen, die sich an der radikalen Privatisierung bereicherten, die wirtschaftliche, politische und mediale Bühne dominierten. Das Land versank in den 1990ern in wirtschaftlicher und politischer Instabilität. Jelzins Nachfolger, der 2000 zum russischen Präsidenten gewählte Wladimir Putin, baute den Staat zu einer auf ihn zugeschnittenen Autokratie um. Postsowjetisches Erbe: zwischen Stabilität und Krise Aus der Sowjetunion entstanden fünfzehn unabhängige Staaten. Während etwa die baltischen Republiken rasch zu einer stabilen Entwicklung fanden und in die EU eingegliedert wurden (2004), kam es in und zwischen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu Bürgerkriegen und territorialen Konflikten, die teilweise bis heute ungelöst sind (z. B. in Abchasien, Südossetien, Transnistrien oder Nagornyj-Karabach). Auch in der Russländischen Föderation brachen militärische Konflikte wie etwa die beiden Tschetschenienkriege (1994–1996 und 1999–2009) aus. Spätestens seit 2014 hat die Außenpolitik Putins eine neue Qualität angenommen, als Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektierte. Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland in der Ukraine einen Angriffskrieg, bei dem es auch zu zahlreichen Kriegsverbrechen gekommen sein soll. Die genauen Opferzahlen sind unbekannt, Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind auf der Flucht. Die Nato- und EU-Staaten haben umfangreiche Sanktionen gegen Russland verhängt. Viele Staaten unterstützen die Ukraine mit humanitären Hilfslieferungen und Waffen. Die unter Gorbatschow eingeleiteten Reformen verselbstständigten sich und mündeten im Zerfall der Sowjetunion. Aus der sozialistischen Union traten fünfzehn unabhängige Staaten hervor, die in den letzten 30 Jahren teils sehr unterschiedliche Entwicklungswege gingen. Der Zerfall der Sowjetunion 5.4 M 1: Michail Gorbatschow (1931– 2022), Generalsekretär der KPdSU und letzter Präsident der Sowjetunion 1990/1991, und Ronald Reagan (1911– 2004), US-amerikanischer Präsident 1981–1989, auf dem Cover des berühmten „Time Magazins“, 1989. M 2: Wladimir Putin (* 1952), seit 2000 amtierender russischer Präsident, bei einem Besuch in Deutschland. Foto von Michael Lüdecke, 2018. Oligarch/-in, der/die: Begriff aus dem Griechischen; er bezeichnet jemanden, der mit wenigen anderen eine Herrschaft ausübt. In Russland sind das einige Großunternehmer, die nach dem Zerfall der UdSSR ein Vermögen mit Öl und Gas gemacht haben. Aufgrund ihres Reichtums haben sie großen Einfluss. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 MUSTER
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjg5NDY1NA==