222 Während in einigen osteuropäischen Staaten schon politisches Tauwetter herrschte, klammerte sich das DDR-Regime an die Grundzüge ihrer autoritären Politik. Durch bewährte Unterdrückungs- und Beschwichtigungsmaßnahmen sollte der Wunsch nach bürgerlichen Freiheiten unterdrückt werden. 1989: die Krise 5.2 Der Sommer 1989 Die Grenzanlagen rund um die innerdeutsche Mauer waren mittlerweile so perfektioniert, dass eine Flucht meist tödlich endete. Im Sommer 1989 suchten immer mehr Bürgerinnen und Bürger andere Wege, um sich aus der DDR abzusetzen. Viele fanden Zuflucht in den westdeutschen Botschaften in Prag, Budapest und Warschau. Andere flüchteten über die ungarische Grenze nach Österreich. So gelang vielen Tausenden in diesem Sommer die Flucht nach Westdeutschland. Alleine bei der offiziellen Feier der Paneuropa-Union im ungarischen Sopron („Paneuropäisches Picknick“) flohen etwa 700 DDR-Bürgerinnen und -Bürger durch das offene Grenztor nach Österreich. Dies war möglich, weil Ungarn bereits im Mai damit begonnen hatte, elektronische Sicherungsanlagen und Stacheldrahtzäune an seiner Westgrenze abzubauen. Mit der Zustimmung zum Picknick demonstrierte das Land seinen Willen, den „Eisernen Vorhang“ abzubauen. Am 11. September 1989 öffnete Ungarn seine Grenzen zu Österreich endgültig. Massenflucht aus der DDR Spätestens jetzt setzte eine Massenflucht von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern in die BRD ein. Das Hauptmotiv der Flüchtenden waren wirtschaftliche Gründe. Dazu kamen die politische Einengung und die Missachtung der Menschenrechte durch das Regime sowie die fehlenden Perspektiven. Schwierig war die Entscheidung zur Flucht vor allem für Oppositionelle. Mit der Flucht aus dem Land kapitulierten sie vor dem Regime, denn der politische Aktionismus aus der Ferne war ungleich schwerer. Das SED-Regime, das nach wie vor strikt an seiner harten Linie festhielt, reagierte in altbekannter Form: Die Flüchtenden wurden in den Medien als undankbare Verräterinnen und Verräter dargestellt. Die Mauer bröckelt Mit der Grenzöffnung Ungarns wurde es für die Machthaber in der DDR aber immer schwieriger, sich dem politischen Tauwetter zu verschließen. Der damalige BRD-Bundeskanzler Helmut Kohl meinte dazu: „Ungarn hat den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen.“ M 1: Das im Jahr 2017 erschienene Lied „Sommer ’89“ der deutschen Band „Kettcar“ erzählt die fiktive Geschichte eines Fluchthelfers an der ungarisch-österreichischen Grenze: „[…] Es war im Sommer ’89, eine Flucht im Morgengrauen Es war im Sommer ’89, und er schnitt Löcher in den Zaun Sie kamen für Kiwis und Bananen Für Grundgesetz und freie Wahlen Für Immobilien ohne Wert Sie kamen für Udo Lindenberg Für den VW mit sieben Sitzen Für die schlechten Ossi-Witze Kamen für Reisen um die Welt Für Hartz IV und Begrüßungsgeld Sie kamen für Besser-Wessi-Sprüche Für die neue Einbauküche Und genau für diesen Traum Schnitt er Löcher in den Zaun“ Kettcar: Sommer ’89 (Album: Ich vs. Wir), 2017. Paneuropa-Union, die: europäische Einigungsbewegung, die für ein wirtschaftlich und politisch geeintes Europa und demokratische Grundwerte eintritt Q Mehr dazu … Der Videoclip zum Lied (M 1): https://www. youtube.com/watch? v=UIE8uHNUeRA 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 MUSTER
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