Denkmal 7/8 + E-Book

206 Waldheims Wahlerfolg bedeutete nicht nur einen großen Imageverlust für Österreich, sondern auch den Beginn eines veränderten Umgangs mit der eigenen NS-Vergangenheit. Außerdem brachte das „Wendejahr 1986“ Neuerungen in der österreichischen Innenpolitik: die ÖVP kam wieder in die Regierung und die Grünen zogen in den Nationalrat ein. Haiders Aufstieg an die Parteispitze Am Tag nach Waldheims Wahl zum Bundespräsidenten traten Bundeskanzler Fred Sinowatz und Außenminister Leopold Gratz zurück. Beide hatten sich während des Wahlkampfs klar gegen Waldheim ausgesprochen und vor der außenpolitischen Isolierung Österreichs gewarnt. Als neuer SPÖ-Bundeskanzler wurde Franz Vranitzky angelobt, der zunächst versuchte, die Kleine Koalition mit der FPÖ fortzuführen. In der FPÖ tobten aber bereits heftige innerparteiliche Kämpfe zwischen dem liberalen Flügel rund um das Regierungsteam von Vizekanzler Norbert Steger und dem nationalen Flügel, als dessen Leitfigur sich der junge Chef der Kärntner FPÖ, Jörg Haider, inszenierte. Seit Längerem hatte Haider den Regierungskurs seiner Partei kritisiert. Beim berühmten Innsbrucker Parteitag am 13. September 1986 trat Haider gegen den amtierenden Parteichef Steger an – eine sehr ungewöhnliche Kampfansage in österreichischen Parteien. Nach Haiders klarer Wahl zum Parteiobmann beendete Franz Vranitzky die Koalition und rief Neuwahlen aus. Die Nationalratswahl 1986 Obwohl die SPÖ über 200000 Stimmen verlor, blieb sie stimmenstärkste Partei. Zweite wurde die ÖVP, die ebenfalls Stimmen einbüßte. Haiders FPÖ hingegen konnte ihren Stimmenanteil verdoppeln – der Beginn einer Serie an Wahlerfolgen der FPÖ, die bis 1999 andauerte. Diese Erfolge verdankte die Partei hauptsächlich der Anziehungskraft ihres Parteiobmanns, der durch ausländerfeindliche und rechtspopulistische Aussagen vor allem im Arbeitermilieu punkten konnte. Aber nicht nur die FPÖ konnte 1986 Wahlerfolge verbuchen. Mit den Grünen wurde eine neue Partei in den Nationalrat gewählt, die sich besonders für Umwelt- und Menschenrechtspolitik stark machte. Die Große Koalition kehrt zurück Vranitzky bildete 1987 im Anschluss an die Nationalratswahl eine Große Koalition mit der ÖVP unter Vizekanzler Alois Mock, der auch das Außenministerium übernahm. Erstmals seit 1966 regierten die beiden Großparteien wieder gemeinsam und strebten als großes gemeinsames Ziel den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft an. Außerdem musste die neue Regierung die Sanierung und teilweise Privatisierung der verstaatlichten Industrie weiterführen. Weiters war die Regierungsspitze bemüht, das beschädigte Ansehen der Republik wiederherzustellen. Neuer Umgang mit der Vergangenheit Ein wichtiger Schritt war dabei die veränderte Auseinandersetzung mit der österreichischen NS-Vergangenheit. Nach dem Waldheim-Skandal war vor allem Franz Vranitzky bemüht, mit der Opferthese zu brechen. In einer historischen Rede gestand Vranitzky 1991 vor dem Nationalrat die Mitverantwortung der Österreicherinnen und Österreich am Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust ein. Zwei Jahre später, am 9. Juni 1993, entschuldigte er sich in einer ähnlichen Rede an der Hebräischen Universität in Jerusalem im Namen der Republik Österreich für die begangenen Gewalttaten. Österreichische Perspektive: zurück zur Großen Koalition 4.21 M 1: Zwei Hauptakteure des Jahres 1986: Jörg Haider, Vorsitzender der Freiheitlichen Partei Österreichs, und Bundespräsident Kurt Waldheim in der Präsidentschaftskanzlei, Hofburg, Wien. Foto, 1.9.1986. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 MUSTER

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