205 Transformationen nach 1968 1. Analysieren Sie den Trailer zu Ruth Beckermanns Dokumentation (M 1) hinsichtlich der Emotionen, die den Wahlkampf 1986 kennzeichneten. 2. Werten Sie den Kommentar von Isolde Charim (M 3) hinsichtlich ihrer Einordnung der Waldheim-Affäre in die österreichische Nachkriegsgeschichte aus. 3. Nehmen Sie zu Charims Aussage Stellung, die Isolation Waldheims wäre nur ein geringer Preis für Österreichs weitere Entwicklung gewesen. 4. Schätzen Sie die Folgen der Entscheidung des österreichischen Wahlvolks ab, Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten zu wählen. Berücksichtigen Sie dazu auch M 2. M 3: Die österreichische Philosophin Isolde Charim kommentierte 2018 die Waldheim-Affäre folgendermaßen: Die österreichische Nachkriegsgesellschaft war eine Gesellschaft, die sich nicht mit allen Stadien ihrer Geschichte identifizieren konnte – im Sinne einer heroischen oder glorreichen Vergangenheit. Dieses Nicht-Identifizieren, diese partielle Amnesie lag wie eine Schockstarre über dem Land. Und die Umdeutung zum ersten Opfer Hitlers brachte da nur vordergründig eine Erleichterung. In dieser Situation war die Waldheim-Affäre ein Turning Point eigener Art. […] Waldheim und die damalige – unverhohlen antisemitische – ÖVP haben 53 Prozent der österreichischen Bevölkerung ermöglicht, sich erstmals nach dem Krieg wieder ungeschoren und ungebrochen mit der ganzen eigenen Geschichte zu identifizieren. Hier wurde die Amnesie nicht im Sinne einer Aufklärung überwunden, sondern im Sinne eines ungehemmten Zulassens, eines „schuldbefreiten“ Anerkennens des Geschehens. Waldheim hat den Österreichern die Möglichkeit geboten, sich ohne schlechtes Gewissen auf ihre Geschichte zu beziehen. In diesem Licht ist auch der unmittelbar nachfolgende Aufstieg Jörg Haiders zu sehen. Dass Waldheim dann ein gänzlich isolierter Präsident war, war ein geringer Preis für den Mehrwert, den diese Affäre geliefert hat. Die Gegenseite hingegen, jene, die gegen Waldheim protestierten, konnte zwar dessen Wahl nicht verhindern – aber sie hat dazu beigetragen, das Land zu lockern, zu modernisieren, zu lüften von diesem Mief, der einem aus jedem Archivbild entgegenweht. Die heute so oft zitierte Zivilgesellschaft hat sich damals formiert. Und sie hat sich seit damals immer wieder artikuliert. Es folgte: das „Konzert für Österreich“, das „Lichtermeer“, die Massenkundgebung gegen Schwarz-Blau. Diese Aufzählung ist eindrucksvoll und deprimierend zugleich. So viel formierte politische Energie, so massive Artikulationen, so große Auftritte – die offenbar so oft und immer wieder nötig waren. Und sind. 2018 wie 2000. Letzten Donnerstag gab es die erste Neuauflage der Donnerstags-Demos. Charim, Isolde: Die Affäre Waldheim als Turning Point. Österreich und der Angriff auf die Wahrheit. In: Wiener Zeitung, 05.10.2018. https://www.wienerzeitung.at/meinung/ gastkommentare/994189-Die-Affaere-Waldheim-als-Turning-Point.html (02.10.2021). D M 4: Das vom Künstler Alfred Hrdlicka gebaute Holzpferd wurde zum ständigen Begleiter der Gegnerinnen und Gegner Waldheims, um bei seinen öffentlichen Auftritten an seine Mitgliedschaft bei einer SAReiterstandarte zu erinnern. Foto, 1986, Fotograf unbekannt. Aufgaben MUSTER
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