204 Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bildete die SPÖ 1983 eine Kleine Koalition mit der FPÖ. Unter Norbert Steger schienen sich die Liberalen in der FPÖ gegen den nationalen Flügel durchzusetzen. Im „Wendejahr 1986“ eskalierte der Machtkampf allerdings. Davor erlebte Österreich den einschneidendsten Präsidentschaftswahlkampf der Zweiten Republik. Die Besetzung der Hainburger Au Bereits 1984 zeichnete sich ab, dass sich die österreichische Gesellschaft in einem sozialen und ökologischen Wandel befand: Grüne und alternative Gruppen, aber auch kritische Bürgerliche und SPÖAnhängerinnen und -Anhänger besetzten im Dezember 1984 die Au in Hainburg an der Donau, in der ein Wasserkraftwerk gebaut werden sollte, und protestierten gegen die Zerstörung dieses Ökosystems. Als bei einem gewalttätigen Polizeieinsatz am 19. Dezember 1984 knapp 20 Demonstrantinnen und Demonstranten verletzt wurden, verfügte die Bundesregierung einen sofortigen Baustopp. Die Au blieb besetzt, und im März 1985 unterzeichneten über 350000 Menschen ein Volksbegehren zur Rettung der Donauauen. Das Bauprojekt wurde daraufhin endgültig gestoppt. Die Waldheim-Affäre Im Jahr darauf endete die zweite Amtszeit von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger. Nachdem die ÖVP den ehemaligen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim nominiert hatte, stellte die SPÖ ihrerseits den amtierenden Gesundheitsminister Kurt Steyrer auf. Im Zuge des Wahlkampfs wurde bekannt, dass Waldheim während des Zweiten Weltkriegs Mitglied des NSStudentenbunds und der SA-Reiterei gewesen war. Als er von US-amerikanischen und österreichischen Medien mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, dass er im Zweiten Weltkrieg als Offizier der Wehrmacht an Orten in unmittelbarer Nähe von Massenerschießungen und Deportationen stationiert gewesen war, stritt Waldheim jegliche Kenntnis davon ab und erklärte, stets nur seine Pflicht getan zu haben. Die „Campaign“ – jetzt erst recht Während die SPÖ versuchte, von Waldheims Vergangenheit zu profitieren und diese auch gezielt zum Wahlkampfthema machte, führte die ÖVP einen „Jetzt erst recht“-Wahlkampf mit antisemitischen Untertönen. Sie warf „gewissen Kreisen an der Ostküste“ (womit der World Jewish Congress in New York City gemeint war, der scharf gegen Waldheim auftrat) und der SPÖ vor, eine „Schmutzkübelkampagne“ zu führen. Auch Waldheim verurteilte die Angriffe als „Campaign“ und Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) tätigte seine legendäre Aussage, wonach er zur Kenntnis nähme, dass nur Waldheims Pferd, nicht aber dieser selbst bei der SA gewesen sei. Der isolierte Präsident Waldheim selbst nutzte die weltweite Empörung. Am 8. Juni 1986 gewann er die Stichwahl mit 53,91 % und wurde österreichischer Bundespräsident. Die Diskussionen um seine Vergangenheit rissen aber nicht ab. Die Botschafter der UdSSR, der USA und Israels blieben seiner Amtseinführung fern. Die Schweiz verweigerte ihm den traditionellen Antrittsbesuch. Israel zog seinen Botschafter aus Wien bis 1992 ab, und die USA setzten Waldheim auf die „Watchlist“, was ihm die Einreise in die USA verwehrte. Während seiner sechsjährigen Amtszeit wurde Waldheim in kein westliches Land eingeladen. Österreichische Perspektive: die Affäre Waldheim 4.20 M 2: Waldheims Wahlerfolg war vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit während des Zweiten Weltkriegs auch Thema in den internationalen Medien. Simon Wiesenthal, ein österreichischjüdischer Überlebender des Holocaust, mit einer Ausgabe der „Jerusalem Post“. Auf dem Cover eine Geschichte über Kurt Waldheim. Foto, unbekannt, 1986. M 1: Trailer zu Ruth Beckermanns preisgekrönter Dokumentation „Waldheims Walzer“ aus dem Jahr 2018. https://youtu.be/g5SFTA5Cjw 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 MUSTER
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