16 Globale Konsequenzen: die Welt nach 1919 1.3 M 1: Ho Chi Minh (1890–1969), vietnamesischer Revolutionär und kommunistischer Politiker, hier auf einer vietnamesischen 500-Dong-Banknote, 1988. Das von Woodrow Wilson vorgebrachte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ unterstützte die Vertreter vieler unterdrückter Völker, ihre politische Eigenständigkeit in Paris einzufordern, womit sie aber zumeist scheiterten. Auch der „Völkerbund“, das Herzstück von Wilsons Friedensprojekt, wurde seinen Erwartungen nicht gerecht. Delegationen aus aller Welt Ein bekanntes Beispiel für die enttäuschten Hoffnungen von Paris ist der Vietnamese Nguyên Tât Thành, der sich in Paris für mehr Autonomie seines Volkes einsetzte. Nachdem seine Anliegen kein Gehör gefunden hatten, wandte er sich dem Kommunismus zu und führte Vietnam 1945 unter seinem Kampfnamen Ho Chi Minh in die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. Auch eine arabische Delegation setzte sich in Paris für die nationale Selbstbestimmung ein. Der großarabische Nationalstaat, der den Araberinnen und Arabern während des Krieges von Großbritannien für die Unterstützung gegen das Osmanische Reich zugesagt worden war, wurde allerdings nicht Realität. Der „Völkerbund“ Als Herzstück der beabsichtigten Friedensordnung sah Woodrow Wilson eine internationale Organisation vor, die in zukünftigen Konflikten vermitteln und so den Frieden garantieren sollte. Der „Völkerbund“, der seinen Sitz in Genf hatte und 1920 seine Arbeit aufnahm, konnte diese Rolle allerdings nie wirklich erfüllen. Zwar begrüßten vor allem die kleineren Staaten (M 3) Wilsons Vision von einem „internationalen Schiedsrichter“. Aber trotzdem wollten viele Regierungen seine Autorität nicht anerkennen. Außerdem gelang es Wilson nicht, die USA in den Völkerbund zu führen, der US-Kongress lehnte einen Beitritt ab. Auch durften die Sowjetunion (Beitritt 1934, 1939 aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen Finnland ausgeschlossen) und das Deutsche Reich (1926 bei-, 1933 ausgetreten) zunächst nicht beitreten, was die Möglichkeiten der Organisation zusätzlich einschränkte. 5 10 15 ~ ~ 20 25 30 35 Koloniale Neuordnung Allerdings wurde der Völkerbund benutzt, um die Zukunft der ehemaligen Kolonien des Deutschen Reichs zu regeln. Diese wurden als Mandatsgebiete des Völkerbundes unter den Großmächten aufgeteilt: Großbritannien erhielt zum Beispiel Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania, Burundi und Ruanda), Frankreich große Teile des heutigen Kamerun. Ähnlich wurde auch mit den ehemaligen Gebieten des zerbrochenen Osmanischen Reichs im Nahen Osten verfahren. Diese hatten Großbritannien und Frankreich bereits 1916 im Sykes-Picot-Abkommen aufgeteilt. Nun erhielten sie die Gebiete als Völkerbund-Mandate. Im südlichen Teil des Irak, der zum britischen Einflussbereich zählte, wurde Prinz Faisal, der Kopf der arabischen Delegation in Paris, 1921 als König eingesetzt. Seine Familie, die bei der irakischen Bevölkerung großteils abgelehnt wurde, hielt sich dennoch bis zum Militärputsch 1958 auf dem irakischen Thron. Der „Nahostkonflikt“ beginnt Großbritannien war auch für Palästina verantwortlich und sicherte jüdischen Interessengruppen das Gebiet für einen zukünftigen jüdischen Staat zu. Die BalfourDeklaration war ein wichtiger Schritt zur Staatswerdung Israels, ist aber gleichzeitig auch ein Hauptgrund für den seither bestehenden Nahostkonflikt (s. 3.13), da die Briten das Gebiet während des Ersten Weltkriegs auch arabischen Machthabern zugesichert hatten. 40 45 50 55 60 65 70 Mandatsgebiet, das: Bezeichnet im Völkerrecht den Auftrag an einen Staat, die Interessen eines gewissen Gebietes zu vertreten. Sykes-Picot- Abkommen, das: Eine 1916 getroffene Vereinbarung zwischen Frankreich und Großbritannien über die kolonialen Int eressengebiete im Nahen Osten. Großbritannien bekam ein Gebiet zuerkannt, das etwa das heutige Jordanien, den Irak und Gebiete um Haifa umfasste. Frankreich sollte die Herrschaft über die südöstliche Türkei, den Nordirak, Syrien und den Libanon übernehmen. MUSTER
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