Denkmal 7/8 + E-Book

184 Österreichische Perspektive: das Ende der Großen Koalition 4.10 Bald nach Unterzeichnung des Staatsvertrags wurden die Auseinandersetzungen innerhalb der österreichischen Regierung immer heftiger. 1962 konnten sich ÖVP und SPÖ nur mit Mühe auf ein neues Regierungsabkommen einigen. Vier Jahre danach begann schließlich eine Phase von Alleinregierungen. Das Jahrzehnt nach dem Staatsvertrag Wirtschaftlich hatten ÖVP und SPÖ durch ihre Zusammenarbeit viel erreicht. Österreichs Wirtschaft wuchs stetig, so viele Menschen wie nie zuvor waren in Beschäftigung. Die Industrie prosperierte und auch der tertiäre Sektor (Dienstleistungen) wuchs stark an. Langsam entwickelte sich Österreich zu einem Wohlstandsland. Bereits Mitte der 1960er-Jahre mussten ausländische Arbeitskräfte angeworben werden, um den Bedarf zu decken. Auch außenpolitisch war das Land erfolgreich. 1957 wurde Wien zum Sitz der Internationalen Atombehörde (IAEA), 1965 verlegte die OPEC ihr Hauptquartier in die Bundeshauptstadt. Österreichische Soldaten beteiligten sich an UNO-Friedensmissionen, und in der Flüchtlingskrise nach dem antikommunistischen Aufstand in Ungarn 1956 (s. 3.5), als Österreich über 200 000 Flüchtlinge aufnahm, erwies sich das Land als verlässliches Mitglied der internationalen Politik. Die Alleinregierung Klaus Innenpolitisch gab es aber immer wieder Konflikte innerhalb der Koalition. Die gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen waren zu unterschiedlich, um nach dem Erreichen der großen Ziele – des Wiederaufbaus und der Erlangung des Staatsvertrags – gemeinsam weiterregieren zu können. Bei der Nationalratswahl 1966 erreichte die ÖVP die absolute Mehrheit und bildete eine Alleinregierung. Bundeskanzler Josef Klaus war mit der sogenannten „Aktion 20“ angetreten, in der er zwanzig Wissenschaftler eingeladen hatte, zukunftsweisende Ideen für Österreich zu entwickeln. Obwohl er einige Reformen umsetzte – das neue Rundfunkgesetz und die Herabsetzung des Wahlalters von 21 auf 19 Jahre –, gelang es seiner Regierung nicht, den gesellschaftlichen Wandel, der gegen Ende des Jahrzehnts in aller Munde war, anzuführen. Die von Klaus geforderte sachliche Reformpolitik schien zu trocken für die Dynamik, die sich rund um das Jahr 1968 entfaltete. Der Wahlkampf 1970 So konnte sich Klaus’ Herausforderer Bruno Kreisky im Wahlkampf 1970 als Reformer inszenieren. In seinem Programm „Für ein modernes Österreich“ versprach er die Erneuerung und Demokratisierung des als altmodisch wahrgenommenen Österreich. Kreisky gelang es, die Jugend für sich zu gewinnen, während sich Klaus auf Plakaten als „echter Österreicher“ präsentierte, womit er auf die jüdische Herkunft Kreiskys anspielte. Aber besonders im neuen Medium Fernsehen zeigte sich Kreisky viel souveräner als Klaus und konnte die Wahl 1970 für die SPÖ gewinnen. M 1: Die erste TV-Konfrontation der österreichischen Geschichte zwischen Josef Klaus und Bruno Kreisky. Foto, 1970. M 2: Die TV-Debatte zwischen Klaus und Kreisky können Sie sich auch in der ORFTVthek ansehen. https://tvthek.orf.at/ history/Die-AeraKreisky/6284171/TVDuell-KlausKreisky/6240661 Rundfunkgesetz, das: 1967 in Kraft getretenes Gesetz, das den öffentlichen Rundfunk vom politischen Einfluss befreien sollte. Es wurde als Ergebnis des Rundfunk-Volksbegehrens des Jahres 1964 ausgearbeitet. IAEA, die: International Atomic Energy Agency. Die Organisation ist mit der UNO durch ein separates Abkommen verbunden, sie soll den friedlichen Einsatz der Kernenergie fördern und die militärische Nutzung überwachen und verhindern. OPEC, die: Organization of the Petroleum Exporting Countries. 1960 gegründete internationale Organisation mit Sitz in Wien. Derzeit gehören der OPEC dreizehn ölexportierende Staaten an. Darunter der Iran, Irak, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Venezuela. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 MUSTER

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