176 Außereuropäische Perspektive: der Vietnamkrieg 4.6 Die überlegene US-Armee konnte im asymmetrischen Kampf gegen den Vietcong ihre Vorteile nicht ausspielen. Im Guerillakrieg sank die Moral der US-Soldaten, während sich deren Opferzahl erhöhte. Dies mobilisierte in den USA eine Friedensbewegung, die die Gesellschaft tief spaltete. Kriegsführung Die USA setzten zu Beginn des Krieges auf Bombardierungen strategischer Ziele in Nord- und in Südvietnam, wo die FNL operierte. Da der Vietcong der amerikanischen Luftüberlegenheit nichts entgegenzusetzen hatte, erwarteten die USA einen kurzen Krieg. Das Bombardement bewirkte jedoch das Gegenteil. Durch die hohe Zahl an zivilen Opfern betrachteten viele Vietnamesinnen und Vietnamesen die USA als auswärtigen Aggressor. Im Süden fand die FNL immer mehr Unterstützung. Zudem war die Bombardierung der Infrastruktur nur von kurzen Erfolgen gekrönt, da der Vietcong die Nachschublinien, wie z. B. den Ho-Chi-Minh-Pfad, immer wieder instand setzte. Neben den konventionellen Bomben setzten die USA auch Napalm (Brandbomben) und chemische Waffen ein, die den Dschungel entlaubten (z. B. Agent Orange), um dem Vietcong weniger Verstecke zu bieten und Angriffe aus dem Hinterhalt zu verhindern, oder die Ernte vernichten sollten. Zugleich versuchten US-Bodentruppen in sogenannten „Search and Destroy“- Operationen möglichst viele Vietcong zu töten. Doch deren Ortskenntnis und die weitverzweigten Tunnelsysteme verschafften den Vietnamesinnen und Vietnamesen einen strategischen Vorteil. Durch die steigenden Verluste der Amerikaner sank deren Kampfmoral. Ein Fünftel der US-Soldaten war 1970 drogenabhängig, es kam zu Befehlsverweigerungen, Mord an Vorgesetzten und zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Das bekannteste in My Lai, bei dem 504 Männer, Frauen und Kinder von US-Soldaten getötet wurden, ließ die Stimmung in den USA kippen. Wahrnehmung des Vietnamkriegs in den USA In keinem Krieg zuvor waren Journalistinnen und Journalisten so nah am Kriegsgeschehen. Man sprach von einem „Fernsehkrieg“. Die Bilder mobilisierten jedoch auch die Antikriegsbewegung. Während die amerikanische Bevölkerung anfangs weitestgehend hinter dem Krieg in Vietnam gestanden hatte und kritische Stimmen selten gewesen waren, änderte sich dieses Stimmungsbild mit den steigenden Opferzahlen der US-Soldaten. Langsam entwickelte sich eine Friedensbewegung, die sich aus Bürgerrechtsbewegungen, der HippieBewegung, studentischen Gruppen und weiteren politisch aktiven Gruppierungen zusammensetzte. Zahlreiche Menschen protestierten in Massendemonstrationen in größeren Städten, bei denen es auch zu Zusammenstößen mit der Polizei und Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten kam. Folgen Die Gesamtzahl der Opfer des Krieges (der längste, den die USA bis dahin geführt hatten) ist nur schwer zu eruieren. Schätzungen gehen heute von insgesamt vier Millionen getöteten Vietnamesinnen und Vietnamesen aus. Für die USA verloren rund 60 000 Soldaten ihr Leben. Die langjährigen Folgeschäden für die Gesellschaft auf beiden Seiten sind kaum abzuschätzen. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 Ho-Chi-MinhPfad, der: von der US-Armee verwendete Bezeichnung für ein weit verzweigtes Netz von Straßen, Wegen und Tunneln, das die NFL zur Versorgung nutzte asymmetrischer Kampf, der: Krieg, in dem sich verschieden starke Kriegsparteien mit ungleichen Waffen und Strategien gegenüberstehen. Findet oft zwischen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren statt, z. B. zwischen einem Staat und einer Terrorgruppe oder einem Drogenkartell. Heute gilt der Terrorismus als eine typische Ausprägung des asymmetrischen Kampfes. Guerillakrieg, der: Krieg, in dem eine der beiden Kriegsparteien einen asymmetrischen Kampf führt. Eine wichtige Rolle spielt dabei oft das Gelände, das von der militärisch unterlegenen Kriegspartei zum eigenen Vorteil genutzt wird. Im Vietnamkrieg z. B. der Dschungel oder der Ho-Chi-MinhPfad. MUSTER
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