Denkmal 7/8 + E-Book

172 Die enttäuschte Revolution – der Prager Frühling 4.4 1968 war auch in den kommunistischen Ländern ein Jahr des Umbruchs. In der Tschechoslowakei ging der Reformwillen der Kommunistischen Partei so weit, dass Moskau die Einheit des Ostblocks in Gefahr sah. In der BRD gründeten enttäuschte Protestantinnen und Protestanten dagegen terroristische Vereinigungen. Der „Dritte Weg“ des Sozialismus In den 1960er-Jahren hatte die kommunistische Planwirtschaft die Tschechoslowakei in eine wirtschaftliche Rezession gestürzt. Gleichzeitig forderte die slowakische Nationalbewegung mehr politische Mitsprache. 1968 wurde Alexander Dubček Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ) und trat für weitgehende Reformen ein: Neben einer Privatisierung der Wirtschaft, Anerkennung der bürgerlichen Freiheiten (Rede- und Versammlungsrecht sowie Pressefreiheit) sollte auch die Partei selbst liberalisiert werden, wenngleich Dubček das System des Sozialismus an sich weiterhin befürwortete. Diese Reformbewegung wird als Prager Frühling bezeichnet. Von jüngeren Generationen wurde das Reformprogramm begeistert aufgenommen, auch renommierte Intellektuelle wie Václav Havel unterstützten die Reformbewegung. Mit einem „Manifest der 2 000 Worte“ rechneten Schriftsteller und Wissenschaftler mit dem verordneten Sozialismus aus Moskau ab. Die Einheit des Ostblocks in Gefahr Die anderen Staaten des Ostblocks reagierten durchgehend negativ auf die Entwicklungen in der Tschechoslowakei, die KPdSU in Moskau interpretierte die Reformen und die öffentlichen Proteste als „Konterrevolution“. Im Juli 1968 forderten die Sowjetunion, Ungarn, Polen, Bulgarien und die DDR Dubček zur Rücknahme seiner Reformen auf. Als die KSČ ablehnte, reagierte die Moskauer Führung mit Gewalt: Am 21. August 1968 rollten Panzer des Warschauer Pakts nach Prag. Tschechoslowakische Politiker riefen zur Gewaltlosigkeit auf, die Radiosender zu passivem Widerstand. Dennoch schlugen die Soldaten den friedlichen Protest blutig nieder, Dubčeks Reformbewegung war gescheitert. Er musste die Reformen zurücknehmen, die Stationierung sowjetischer Truppen in der Tschechoslowakei erlauben und als Generalsekretär der KSČ zurücktreten. Terror im Untergrund: die RAF In Westdeutschland ging die Gewalt nach dem Tod Benno Ohnesorgs zunehmend von radikalisierten Demonstrantinnen und Demonstranten aus. Unter dem Motto „Gewalt gegen Sachen“ ließen radikale Linke in deutschen Kaufhäusern Bomben explodieren, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Statt „intellektuelles Geschwätz“ forderten die Verantwortlichen, Gudrun Ensslin und Andreas Baader, „Aktionen“. Andreas Baader wurde 1970 verhaftet und kurz darauf mithilfe der linken Journalistin Ulrike Meinhof unter Waffengewalt befreit. Zusammen mit Ensslin und Meinhof gründete Baader die Rote Armee Fraktion (RAF). Aus dem Untergrund verübte die RAF bis zu ihrer Auflösung 1998 Bombenanschläge, war verantwortlich für Geiselnahmen, Flugzeugentführungen und Banküberfälle und konnte sich dabei in den ersten Jahren auf viele Sympathisantinnen und Sympathisanten aus der linken Szene stützen. Ihr Ziel, eine „Revolution“ des Proletariats, erreichte die Terrorgruppe allerdings nicht – nachdem ihre Aktionen immer gewalttätiger wurden, schwand auch der vorher so breite Rückhalt aus der APO und dem SDS. M 1: Alexander Dubcek (1921–1992), Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ). Porträtaufnahme, 1968, Fotograf unbekannt. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER

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