134 Zwar war der Weiterbestand der Republik durch die „Moskauer Deklaration“ und die Unabhängigkeitserklärung vorerst gesichert, wirtschaftlich lag Österreich aber in den ersten Nachkriegsjahren am Boden. Erst internationale Hilfe stabilisierte die österreichische Wirtschaft. Bis zur politischen Souveränität dauerte es dennoch bis 1955. Mythos Kaprun Zum Symbol dieses Aufschwungs wurde das 1955 in Betrieb genommene Wasserkraftwerk Kaprun. Während die Pläne für den hochalpinen Kraftwerkskomplex in der Ersten Republik nicht umgesetzt werden konnten, wurde das Projekt von Hermann Göring gestartet und bis 1944 vor allem durch die Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern verfolgt. Am Beginn der Zweiten Republik wurde der Kraftwerksbau zur nationalen Kraftanstrengung hochstilisiert und zur Generierung und Verstärkung des Österreichbewusstseins der Bevölkerung benutzt. Das Projekt eignete sich ausgezeichnet für den Gründungsmythos: Menschen aus ganz Österreich trotzen dem Berg die so wichtige Energiequelle ab. Bundespräsident Renner beschrieb den Bau 1949 als „Leistung des gesamten Bundesvolkes, Sinnbild der österreichischen Volkswirtschaft, Wunderwerk der Naturbeherrschung“. Der „Marshallplan“ in Österreich Wirtschaftlich war Österreich nach dem Krieg mit vielen Problemen konfrontiert. Nur durch die Hilfslieferungen der Alliierten und einiger europäischer Länder (vor allem der Schweiz, Dänemark, Schweden) waren Hungersnöte zu verhindern. Daneben blühte der Schwarzmarkt, was die Inflation begünstigte. Zusätzlich beschlagnahmte die sowjetische Besatzungsmacht zahlreiche Wirtschaftsbetriebe. In ihrer Besatzungszone wurden bald 30 Prozent der wirtschaftlichen Produktion konfisziert. Die Konzentrationsregierung aus SPÖ, ÖVP und KPÖ stoppte diese Beschlagnahmungen durch die weitreichende Verstaatlichung großer Wirtschaftsbetriebe. Außerdem wurde die Geldentwertung 1947 durch eine Währungsreform eingedämmt. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation brachte aber erst die Einbeziehung Österreichs in das „European Recovery Program“ (= „Marshallplan“, s. 3.2). Die US-amerikanische Wirtschaftshilfe führte zu einer nachhaltigen Stärkung der österreichischen Wirtschaftsleistung. Österreichische Perspektive: der Staatsvertrag von 1955 3.8 M 1: Bau des Kraftwerks Kaprun. Foto, unbekannt, 1954. M 2: In diesem Werbefilm über den Bau des Wasserkraftwerks aus dem Jahr 1952 wird deutlich, welche Bedeutung dem Kraftwerksprojekt in der jungen Republik zukam. Film, 1952. https://www.mediathek. at/atom/1F1B69EE2CD-0022800001717-1F1A9A2D Mehr dazu: Auf dem Webportal der Mediathek findet sich eine sehr vielseitige Dokumentation des Alltags in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit vielen Audiodokumenten. https://www.mediathek.at/staatsvertrag/1945/kriegsende-und-besetzung/ M 3: Das Ö1-Mittagsjournal berichtete 2017 über die Legende vom Staatsvertrag: Die Geschichte von der Reblaus und dem österreichischen Staatsvertrag glaubt jeder über die berühmte Karikatur von E. H. Köhler mit der Bildunterschrift „Und jetzt, Raab – jetzt noch d’ Reblaus, dann sans waach!“ zu kennen. Diese Szene kann aber so gar nicht stattgefunden haben, „einfach aus dem Grund, dass an dem Abend, als die österreichische Delegation in Moskau den Staatsvertrag verhandelt hat, der arme alte und damals schon gesundheitlich schwer angeschlagene Außenminister Figl um 8 Uhr ins Bett gegangen ist, weil er wie üblich seine ziemlich hohe Dosis Alkohol bereits intus hatte und schlicht und einfach nicht mehr stehen konnte […]. Figl ist am nächsten Tag in der Früh aufgestanden und hat gefragt: War irgendwas letzte Nacht?, und hat vom Schärf brühwarm serviert bekommen, ja, es war was, wir haben den Staatsvertrag ausverhandelt.“ Ö1 (2017): So war es wirklich. https://oe1.orf.at/artikel/202945/So-war-es-wirklich (26.08.2021) D 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 MUSTER
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjg5NDY1NA==