86 Opfer – Täter und Täterinnen – Mitläufer und Mitläuferinnen 5.4 Wie konnte das passieren? Die Frage, wie der Holocaust geschehen konnte, beschäftigt Historiker und Historikerinnen, Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen und Überlebende auch heute, rund 80 Jahre nach Kriegsende, immer noch. Dabei müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden: ■ Die Täter und Täterinnen waren Menschen, und ihre Opfer waren ebenfalls Menschen, jeder und jede einzigartig für sich, mit einer eigenen Lebensgeschichte, mit einem eigenen Schicksal. Das Morden war nur möglich, weil die Bedingungen vom NS-Regime geschaffen wurden. Diese Bedingungen wiederum wurden durch menschliches Handeln geschaffen! Es gilt also jedenfalls, die Täter und Täterinnen als Menschen zu betrachten. Nicht, um ihr Tun zu rechtfertigen, sondern, um ihre Entscheidungen zu begreifen. ■ Um die Dimension des Holocaust zu begreifen, müssen die Opfer betrachtet werden. Nicht die Leichenberge in den Gaskammern und bei den Massenerschießungen, sondern die einzelnen Opfer und ihre Persönlichkeiten. Das ist entscheidend, um zu verstehen, dass es sich bei den Millionen von Opfern um Menschen jeden Alters handelte, deren Leben genommen wurde, deren Würde zerstört wurde. folgt Abb. 1: Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen bei der Arbeit im Steinbruch. Foto, 1938–1945. ■ Der Holocaust wäre so nicht möglich gewesen, hätte nicht eine dritte Gruppe mitgeholfen bzw. schweigend zugesehen. Nur mithilfe der Mitläufer und Mitläuferinnen konnte der Massenmord in dieser Dimension durchgeführt werden. Die Deportationen von Millionen Juden und Jüdinnen fanden vor den Augen der Bevölkerung statt. Diese drei Aspekte sind zwar nicht die Antwort auf die anfangs gestellte Frage, sie helfen uns aber dabei, die menschliche Seite nicht aus den Augen zu verlieren. Denn zumindest die Täter und Täterinnen und Mitläufer und Mitläuferinnen hatten in ihren Aktionen einen Handlungsspielraum. Der war von der Situation abhängig einmal größer und einmal kleiner. Die Behandlung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen war zum Beispiel sehr unterschiedlich. Während manche Bauersfamilien sie gut aufnahmen, wurden sie in anderen wie Sklaven und Sklavinnen behandelt. Auch als am Ende des Krieges die Todesmärsche vorbeizogen, entschieden sich manche dafür, den Gefolterten Lebensmittel zuzustecken, auch wenn sie sich dabei der Gefahr aussetzten, erwischt und womöglich selbst verhaftet zu werden. folgt Abb. 2: SS-Offiziere entspannen gemeinsam mit ihren Frauen und Kindern auf Sonnenstühlen in der Solahütte (ein Erholungsheim der SS, 30 km südl. von Auschwitz). Foto, 1944. Minilexikon Sola, die Todesmarsch, der = Fluss, östliche Grenze des KZ Auschwitz = erzwungener Fußmarsch von KZ-Häftlingen MUSTER
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