Denkmal 4 + E-Book

7.4 Der Alltag im Wiederaufbau Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Wiederaufbau die wichtigste Aufgabe. Die Infrastruktur und der Wohnraum in den zerbombten Städten wurden wiederhergestellt. Die Versorgung der Bevölkerung konnte in den ersten Jahren nur durch internationale Hilfslieferungen gesichert werden. (S. 26) Außerdem war die Nachkriegsgesellschaft vom Kontakt zu den Besatzungssoldaten geprägt. Davon sind positive und negative Erfahrungen überliefert. Erzählungen über Raub, Erniedrigungen und Vergewaltigungen stehen solchen von Unterstützung durch die Alliierten, Freundschaften und auch Familiengründungen mit alliierten Soldaten gegenüber. Für die Rückkehrer aus dem Krieg gestaltete sich das Alltagsleben sehr schwierig. Die Kriegserfahrung und die lange Trennung von den Familien waren eine schwere psychische Belastung. folgt Abb. 1: Der US-amerikanische Schauspieler Joseph Cotten verteilt Hilfspaket mit Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Gebrauchs, so genannte CARE-Pakete: CARE steht für „Cooperative for American Remittances to Europe“ in Wien. Foto, 1948. Mythos „Trümmerfrau“? In den ersten Jahren nach dem Krieg waren viele Männer noch in Gefangenschaft. Daher übernahmen Frauen eine wichtige Rolle im Wiederaufbau. Sie verrichteten auch schwere körperliche Arbeiten. Das starke Engagement der Frauen hatte großen Anteil am Gelingen des „European Recovery Program“ (s. M2). Die „Trümmerfrau“ wurde zum Idealbild der Frau im Nachkriegs-Österreich gemacht. Dass die Arbeiten zu einem großen Teil von verurteilten Anhängerinnen und Kollaborateurinnen des Nationalsozialismus durchgeführt wurden, wurde bewusst vergessen. Heute wird das Bild der „Trümmerfrau“, die diese Arbeit freiwillig verrichtete, eher als Mythos bezeichnet. Die Gesellschaft während des Wiederaufbaus Zudem wäre der Wiederaufbau der zerstörten Städte ohne die Hilfe der Alliierten, z. B. mit Maschinen zur Schuttbeseitigung, in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen. Ab Mitte der 1950er-Jahre führte ein Wirtschaftsaufschwung zum sogenannten „Babyboom“, einem raschen Anstieg der Geburtenzahlen. Damit wurden die Frauen aber wieder in ihre traditionelle Rolle im Haushalt gedrängt. folgt Abb. 2: Wiedersehensfreude. Foto, 1953. Der Wohlfahrtsstaat Papst Paul VI. soll Österreich einmal als „Insel der Glücklichen“ bezeichnet haben. Diese Bezeichnung wurde später in „Insel der Seligen“ umformuliert. Damit ist das friedliche, wohlhabende und harmonische Zusammenleben gemeint, das in Österreich nach 1945 aufgebaut werden konnte. Die Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum wie auch zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung wurden durch die gute und langfristige Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP verringert. Die Sozialpartnerschaft, in der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen gemeinsam über Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik diskutierten, war das wichtigste Instrument des Ausgleichs. (s. 8.4) So konnte sich die Wirtschaft auch in Krisenzeiten gut entwickeln und ein Wohlfahrtsstaat errichtet werden, in dem die Bedürfnisse der Bevölkerung (soziale Absicherung, Bildung, Sicherheit) gut bedient werden konnten. Minilexikon Kollaborateurinnen, die = hier: österreichische Frauen, die mit den Nazis zusammengearbeitet haben 122 MUSTER

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