106 Schwieriges Erinnern an den Zerfall Jugoslawiens 6.5 Ein Staat zerfällt In den 1990er-Jahren zerfiel der Vielvölkerstaat Jugoslawien. Dieses Land war 1945 unter der Führung von Josip Broz, genannt Tito, als kommunistischer Staat aus dem SHS-Staat hervorgegangen. Serbische, kroatische, slowenische, bosnische, albanische und mazedonische Volksgruppen lebten nebeneinander in diesem Staat. Historische Konflikte wurden unterdrückt, langsam entwickelte sich ein jugoslawisches Wir-Gefühl, das vor allem durch Staatschef Tito verkörpert wurde. Nach dessen Tod 1980 entstanden erneut Konflikte der Volksgruppen, das Land geriet in eine Krise. Diese erreichte ihren Höhepunkt mit den Unabhängigkeitserklärungen Kroatiens und Sloweniens im Jahr 1991. folgt Abb. 1: Die „Rosen von Sarajevo“ markieren die tödlichen Granateneinschläge in der Innenstadt von Sarajevo. Foto, 2013. Vertreibung und Genozid Nach äußerst blutigen Kriegen (1991–1999) zwischen den Volksgruppen entstanden die heutigen Staaten Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien (alle seit 1991 unabhängig), Montenegro (2006), Serbien und der Kosovo (2008). Die Unabhängigkeit des Kosovo wird jedoch nach wie vor nicht von allen Staaten der Welt anerkannt. Im Krieg sollten „ethnische Säuberungen“ zu national einheitlich besiedelten Gebieten führen. Von allen Kriegsparteien wurden Kriegsverbrechen begangen. Der Genozid von serbischen Truppen an über 8 000 männlichen muslimischen Bosniern im Juli 1995 in Srebrenica (Bosnien) war der traurige Höhepunkt der Gewalt. Das Massaker gilt bis heute als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach wurden die Kriegshandlungen durch das völkerrechtswidrige militärische Eingreifen der NATO (1999) beendet und mithilfe der UNO eine bis heute instabile Friedensordnung geschaffen. Erinnern an die Opfer In der Bevölkerung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens hat der Krieg tiefe Wunden hinterlassen. Über 100 000 Menschen verloren in den Kämpfen ihr Leben, noch mehr wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Viele davon führte ihre Flucht nach Österreich. Auch heute stehen sich die Volksgruppen oft misstrauisch gegenüber, und immer wieder kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen. Viele Menschen leiden auch Jahre nach Kriegsende noch unter den Folgen der Gewalt. An die Opfer dieser Verbrechen wird durch Bauwerke, Denkmäler und öffentliche Veranstaltungen erinnert. Beim „Marš mira“ gehen zum Beispiel jedes Jahr Tausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer drei Tage lang den Weg nach Srebrenica, den die Flüchtenden 1995 zurücklegen mussten. 2015 nahmen 10 000 Menschen teil, um den Opfern dieses Genozids zu gedenken. folgt Abb. 2: Teilnehmende des „Marš mira“, der seit 2005 jährlich in der Umgebung Srebrenicas durchgeführt wird, um der dort Ermordeten zu gedenken. Foto, 2020. Minilexikon instabil = hier: unsicher Mehr dazu … Kurzdoku über den Jugoslawienkonflikt: https://youtu.be/RGa5E9C_AUU (13.11.2020) Eine Fotodokumentation zum „Marš mira“: http://www.yvonneoswald.at/de/portfolio/reportage-fotos/mars-mira-reportagebosnien.html (13.11.2020) MUSTER
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