Denkmal 3, 2025 + E-Book

82 Titel 1.1 4.6 _________________________________ Seit der Französischen Revolution galt das Volk als Träger des Staates. Zum Staatsvolk zählte, wer innerhalb der Grenzen geboren wurde. Die Geburt (lat. natio) entschied also, ob man zu einem Staat dazugehörte oder nicht. Diese „Geburtsgemeinschaft“ nannte man „Nation“. Im 19. Jh. wurde die Idee von der Nation (s. Kap. 8) umgeformt. Man machte sie zu einer „Kulturgemeinschaft“. Zu dieser gehörte, wer in dem Staat lebte, aber zusätzlich auch die gleiche Sprache sprach, dieselbe Religion ausübte und sich zu einer gemeinsamen Geschichte sowie gemeinsamen Traditionen bekannte. Damit sollte das Volk an den (National-) Staat gebunden werden. Der einfachste Weg, um Gemeinsamkeiten einer Nation deutlich zu machen, ist es, die Unterschiede zu anderen zu beschreiben. Nationalismus hebt oft die Besonderheit der eigenen Bevölkerung hervor, indem er die Andersartigkeit der anderen betont. Meist werden die anderen Nationen abgewertet, um die eigene Nation besser darzustellen. Deshalb ist Nationalismus bis heute ein Grund für Verfolgung, Kriege und Leid. Abb 1: Die antisemitische Karikatur „Leur Patrie“ („Ihr Heimatland“), aus der französischen Zeitschrift „La libre Parole“ aus dem Jahr 1893. _________________________________ Eine Bevölkerungsgruppe, die schon immer in der Geschichte ausgegrenzt wurde, waren Jüdinnen und Juden. Sie hatten eine andere Religion, andere Traditionen und häufig sprachen sie auch eine andere Sprache (Jiddisch, Hebräisch). Zwar hatte die jüdische Emanzipation nach der Aufklärung (vgl. 2.8) zu einer besseren Integration von Jüdinnen und Juden geführt. Viele Vorurteile gegenüber der jüdischen Bevölkerung blieben aber bestehen. Vor allem in Zentral- und Osteuropa hetzten Politiker gegen die jüdische Bevölkerung. So schürten diese Politiker den Hass gegen Menschen, die eigentlich als Teil des Staatsvolks hätten betrachtet werden sollen. Diesen politischen Antisemitismus machte sich ganz besonders der populistische Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844–1910) zunutze. Mithilfe des wachsenden Judenhasses im Wien wollte er neue Wählerschichten für die von ihm gegründete christlich-soziale Partei erschließen. _________________________________ Neben dem politischen Antisemitismus entstand Ende des 19. Jh.s der rassistische Antisemitismus. Vielfach war der Lebensalltag von Jüdinnen und Juden gar nicht zu unterscheiden von jenem anderer Teile der Bevölkerung. Also behauptete man, dass Jüdinnen und Juden einer anderen „Rasse“ angehörten. Als Beleg dafür berief man sich auf die Wissenschaft. So entstanden zahlreiche Werke mit unhaltbaren Behauptungen, um die „Minderwertigkeit“ von Jüdinnen und Juden biologisch zu begründen. Als Reaktion auf diese gefährliche Entwicklung veröffentlichte der Wiener Journalist Theodor Herzl, der Jude war, sein Buch „Der Judenstaat“. Darin forderte er die Gründung eines eigenen Staates als sichere „Heimat“ für alle Jüdinnen und Juden. Diese Forderung nach einem unabhängigen jüdischen Staat nennt man Zionismus. Nationalismus und politischer Antisemitismus Minilexikon Emanzipation, die Integration, die populistisch; Populismus, der = hier: rechtliche Gleichstellung = Eingliederung in die Gesellschaft = politische Richtung, die Stimmungen in der Bevölkerung erzeugt und ausnutzt MUSTER

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjg5NDY1NA==