76 Titel 1.1 4.3 Verstädterung Der Anstieg der Bevölkerung und die Abwanderung vieler Menschen vom Land in die Stadt brachten neue Herausforderungen. Viele Städte des 18. und 19. Jh.s waren nicht auf die wachsenden Einwohnerzahlen vorbereitet. Es gab zu wenig Wohnraum für die vielen Arbeiterinnen und Arbeiter, die in den neuen Fabriken der Stadt tätig waren. Sie mussten in kleinen Wohnungen und unter schlechten Wohnbedingungen leben. Die „soziale Frage“ Neben den Wohnverhältnissen waren auch die Arbeitsbedingungen schlecht. Lange Arbeitszeiten bei schlechter Bezahlung, fehlende finanzielle Unterstützung bei Krankheit, Verletzung und Tod erschwerten das „neue“ Leben in der Stadt zusätzlich. Diese Probleme wurden unter dem Begriff der „sozialen Frage“ zusammengefasst. Besonders betroffen von den schlechten Arbeitsbedingungen waren Kinder. Kinderarbeit war in vielen Ländern bis ins 20. Jh. noch nicht verboten und in manchen Ländern gibt es sie heute noch. Streiks und Proteste Die Arbeiterschaft bemerkte schnell, dass es nicht möglich war, als Einzelne oder Einzelner eine Verbesserung der Bedingungen zu erreichen. Arbeiterinnen und Arbeiter schlossen sich zusammen und gründeten Vereine und Gewerkschaften . Aus diesen entstanden später die ersten Parteien. Ottilie Baader (1847–1925) erinnert sich an ihre Arbeit: „Als ich 13 Jahre alt wurde, arbeitete ich als Näherin in Berlin. Um noch etwas nebenbei zu verdienen, nahm ich abends Manschetten zum Durchsteppen mit nach Hause – das hieß: mit der Hand immer über zwei Fäden. Einen Groschen gab es für ein Paar. Wie oft mögen mir jungem Ding da wohl die Augen zugefallen sein, wie mag der Rücken geschmerzt haben. 12 Stunden Arbeitszeit hatte man immer schon hinter sich, von morgens 8 bis abends 8.“ Henke-Bockschatz: Industrialisierung, S. 126 (vereinfacht). Die Zusammenschlüsse der Arbeiterinnen und Arbeiter setzten eine Arbeiterbewegung in Gang. Diese Bewegung kämpfte für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Dazu gehörten die Einführung von Mindestlöhnen, das Verbot der Kinderarbeit, Höchstarbeitszeiten sowie eine Absicherung bei Unfällen und Krankheiten. Um diese Forderungen durchzusetzen, musste sich die Arbeiterbewegung gegen die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen stellen. Die Unternehmerinnen und Unternehmer mussten merken, dass sie von ihren Arbeiterinnen und Arbeitern abhängig waren. Daher war es manchmal notwendig, die Arbeit für einige Tage niederzulegen. In diesen Tagen wurden keine Produkte hergestellt. Diese Form des Protestes heißt Streik. Gegen Ende des 19.Jh.s verbesserten sich die Bedingungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter langsam. Entscheidende Änderungen der Arbeitsbedingungen wurden aber erst im 20. Jh. mit Hilfe der Sozialdemokratie erreicht. Die Frauenbewegung Neben der Arbeiterbewegung begannen ab Mitte des 19. Jh.s auch Frauen mehr Rechte einzufordern. Sie arbeiteten genauso wie Männer in Fabriken und Manufakturen. Allerdings waren sie den Männern untergeordnet und hatten keine Möglichkeit, sich politisch zu beteiligen. Das bedeutet, sie durften nicht wählen oder gewählt werden. In vielen Ländern der Welt begannen die Frauen, sich gegen die sozialen Ungerechtigkeiten zu wehren, und schlossen sich der Frauenbewegung an. Neben dem politischen Recht auf Mitsprache forderten sie auch den Zugang zur Universität und eine Reform des Ehegesetzes. Vieles wurde aber erst im 20. Jh. möglich gemacht. Die Arbeiter- und Frauenbewegung Minilexikon Gewerkschaft, die = Organisation, die die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter vertritt Groschen, der = Untereinheit einer Währung, wie der Eurocent Manschetten zum Durchsteppen = Knöpfe, die an Hemden angebracht werden Sozialdemokratie, die = polit. Bewegung, die sich für soziale Gerechtigkeit i. d. Gesellschaft einsetzt MUSTER
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