Denkmal 3, 2025 + E-Book

40 2.8 Die Vertreibung aus Spanien Die neuzeitliche Geschichte der Jüdinnen und Juden in Europa begann mit einer Massenvertreibung. 1492 eroberten die katholischen Könige Isabella und Ferdinand Granada, das letzte muslimische Königreich auf der Iberischen Halbinsel. Die meiste Zeit, vor allem zwischen dem 8. und 12. Jh., hatten die spanischen Jüdinnen und Juden hier in Frieden gelebt und zur Blüte der Kultur und Wissenschaft beigetragen. Nun wurden sie von der Inquisition vertrieben, wenn sie nicht zum Christentum übertraten. Die muslimischen Menschen wurden ebenfalls zur Taufe gezwungen – und wie die Jüdinnen und Juden ermordet oder vertrieben, wenn sie sich weigerten. Ansiedlungsräume Über 100 000 Jüdinnen und Juden verließen daraufhin Spanien. Ihre Nachfahren heißen bis heute Sephardim . Viele spanische Jüdinnen und Juden siedelte sich in Nordafrika und Ägypten sowie im heutigen Israel an. Hier standen sie unter dem Schutz des muslimischen Sultans Bayezid II. Eine große Gemeinde entstand auch in Thessaloniki, das ebenfalls im Machtbereich des Sultans lag. Neben Rom, Venedig und Florenz wurde vor allem das östliche Europa zu einem wichtigen Siedlungsgebiet der Sephardim. Abb. 1: Moses Mendelssohn (1729–1786), deutschjüdischer Philosoph der Aufklärung. Er gilt als Wegbereiter der Haskala. Gemälde, Ende des 18. Jahrhunderts, anonym, Berlin, Märkisches Museum. Ablehnung, Aufstieg, Anpassung In Zentraleuropa trafen die Einwanderinnen und Einwanderer auf bestehende jüdische Gemeinden. Diese große Gruppe nennt man bis heute Aschkenasim . Sie sprachen Jiddisch, eine Mischsprache aus Mittelhochdeutsch und Hebräisch. Auch die jüdischen Gemeinden in Zentraleuropa hatten viele Gewalterfahrungen gemacht. Ihre Situation besserte sich langsam nach der Französischen Revolution. Die Ideen der Aufklärung führten bei den Herrschenden zu der Auffassung, dass jüdische Untertanen „nützlich“ für den Staat sein könnten. Gleichzeitig gelang der „Haskala“, der jüdischen Aufklärung, die Öffnung des traditionellen Judentums zur christlichen Kultur. Jüdinnen und Juden emanzipieren sich Ab dem 19. Jh. wurden Jüdinnen und Juden in immer mehr europäischen Ländern mit ihren christlichen Nachbarn rechtlich gleichgestellt. In ÖsterreichUngarn konnten Jüdinnen und Juden seit 1867 nun z. B. Grundbesitz haben, ihren Wohnort selbst wählen, Staatsdiener werden und die Universität besuchen. Diese neuen Freiheiten führten zu einer Einwanderungswelle nach Wien. Viele Jüdinnen und Juden nutzten die Möglichkeiten, die ihnen die Emanzipation bot. Sie legten viel Wert auf Bildung und wollten durch Leistung wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden. Viele Juden erreichten einen höheren Bildungsabschluss und besuchten die Universität. Sie trugen sehr aktiv zur Entwicklung der Wissenschaften bei. Jüdische Schriftsteller wie Franz Kafka, Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig beflügelten die österreichische Literatur. Die Wiener medizinische Schule, an der viele jüdische Ärzte arbeiteten, hatte einen ausgezeichneten Ruf und war weltweit bekannt. Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Integration von Jüdinnen und Juden entstand aber auch eine neue Form der Hasses (vgl. 4.6). Minilexikon Sephardim, die Aschkenasim, die emanzipieren = Bezeichnung für die aus Spanien vertriebenen Jüdinnen und Juden, die sich in Süd(west) europa niedergelassen haben = Bezeichnung für die nord-, zentral- und osteuropäischen Jüdinnen und Juden = sich loslösen, befreien Jüdische Geschichte in der Neuzeit MUSTER

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