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14 1.4 Das Individuum – eine Erfindung der Neuzeit Der Begriff „Individuum“ (Mehrzahl: Individuen) bedeutet „unteilbar“ bzw. „Einzelding“. Er wird vor allem für Menschen verwendet. Personen haben individuelle Eigenschaften, Ideen und Fähigkeiten. Damit kann man sie von anderen unterscheiden. Eine Gemeinschaft besteht aus vielen Individuen. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau stellte das Individuum in das Zentrum seiner Beobachtungen. Er erkannte, dass Individuen andere Wünsche haben als die Gemeinschaft. Das hatte große Auswirkungen auf die politische Theorie in der Neuzeit. Die neue Vorstellung vom Individuum hatte zur Folge, dass der Rechtsstaat anders mit der und dem Einzelnen umgehen musste. Auch der Umgang mit Schwächeren veränderte sich. Kranke Menschen und Menschen mit Behinderung sollten nicht mehr am Rande der Gesellschaft stehen. Kindheit im Wandel der Zeit In der Antike und im Mittelalter finden sich kaum Darstellungen von Kindern. Kinder wurden für die damalige Gesellschaft erst interessant, sobald sie arbeiten konnten und nützlich wurden. Bereits ab vier Jahren mussten sie mithelfen, Geld zu verdienen. Kinder wurden lange Zeit wie kleine Erwachsene behandelt. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit galten Kinder als unreife und unfertige Wesen. Ihre eigenen Wünsche wurden oft nicht beachtet. Die Geburtenrate, aber auch die Kindersterblichkeit waren sehr hoch. Das heißt, dass zwar viele Kinder zur Welt kamen, aber viele nicht die Pubertät erreichten. Es gehörte zum Alltag, dass viele Kinder schon früh starben. Kinder als Individuen Lange Zeit war Gewalt in der Kindererziehung etwas ganz Normales. Nicht nur die Eltern, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer durften Kinder körperlich züchtigen . Mit der Aufklärung (s. 3.1) änderte sich im 18. Jh. nach und nach die Sichtweise auf Kinder. Die Kindheit wurde als eigene Lebensperiode entdeckt. Kinder durften ihre Wünsche wie Spielen ausüben. Langsam wurde erkannt, dass das Kind besondere Bedürfnisse hat und Schutz braucht. Bis ins 20. Jh. war es üblich, dass die Eltern entschieden, was das Beste für das Kind war. Die Kinder durften nicht mitbestimmen. Sie sollten keinen eigenen Willen entwickeln. Die Erziehung verändert sich Im 19. Jh. wurde das Kind allmählich als eigenständiges Wesen wahrgenommen. Mit dem neuen Bild von Kindern und Kindheit änderte sich auch die Erziehung. Zufriedene Erwachsene könne es nur geben, wenn ihre Kindheit zufriedenstellend war. Die Reformpädagogik entwickelte sich am Ende des 19. Jh. und forderte eine Erziehung, die die Freiheit und Selbstständigkeit der Kinder fördern sollte. Nur wer in der Kindheit und Jugend gelernt habe, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden, könne als erwachsene Person ein ausgeglichenes Leben führen. Trotz dieser neuen pädagogischen Sichtweisen mussten sich die meisten Kinder bis ins 20. Jh. ihren Eltern widerspruchslos unterordnen. Abb. 1: Das Bild zeigt Herrn Lehrer Lämpel, der Max und Moritz unterrichtet; Illustration im Buch „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch, 1865. Minilexikon Petitionsrecht, das Vormärz, der züchtigen = verfassungsmäßiges Recht, sich mit einem Ansuchen (einer Petition) an eine Volksvertretung zu wenden = Epoche der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts = durch Schläge hart bestrafen Das Individuum MUSTER

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