Denkmal 3, 2025 + E-Book

102 5.6 _________________________________ Die Ideen des Liberalismus waren vor allem für die großen Vielvölkerstaaten gefährlich. Ein Vielvölkerstaat ist ein Staat, in dem viele verschiedene Ethnien gemeinsam leben. Eine Ethnie ist eine Menschengruppe mit einheitlicher Kultur. Die Grenzen des Staates erstrecken sich also über Sprach- und Kulturgrenzen hinaus. Historische Beispiele für Vielvölkerstaaten sind ÖsterreichUngarn, das Osmanische Reich und in der jüngeren Geschichte die Sowjetunion und Jugoslawien. _________________________________ Die Wurzeln des Habsburgerreiches liegen im 13. Jh. In der über 600 Jahre dauernden Geschichte des Habsburgerreiches veränderten sich die Grenzen immer wieder. In den Gebieten, die die Habsburger erwarben, lebten Menschen mit unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Sprachen. Mehr als zehn verschiedene Sprachen wurden in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im 19. Jh. gesprochen. Mit dem Aufkommen des Nationalismus (s. 8.2) forderten die unterschiedlichen Volksgruppen mehr Eigenständigkeit. Die Habsburger gestatteten diese allerdings nur den Ungarn. Die wirtschaftlich aufstrebenden Tschechen, die die drittgrößte Bevölkerungsgruppe der Habsburgermonarchie waren, erreichten keine Besserstellung gegenüber kleineren Volksgruppen. Die Spannungen, die aus der Ungleichbehandlung der verschiedenen Ethnien entstanden, führten zum Zerfall der Habsburgermonarchie nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1918. Abb. 1: Karikatur von 1907 aus der Satirezeitschrift Simplicissimus, Zeichnung von Josef Benedikt Engl. _________________________________ Das Osmanische Reich entstand im 13. Jh. Es bestand bis 1922, also ähnlich lang wie das Habsburgerreich. Viele verschiedene Völker lebten zu verschiedenen Zeiten auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches: Ungarn, Kroaten, Serben, Bosnier, Bulgaren, Rumänen, Griechen, Türken, Kurden, Araber und andere. Im 19. Jh. setzte sich in Europa die Idee der Nation durch (s. 8.2 und 4.6). Das bedeutet, dass Menschen, die die gleiche Kultur und Sprache haben, ein eigenes Staatsgebiet fordern. Viele Völker, wie z. B. die Griechen, sagten sich in kämpferischen Auseinandersetzungen vom Osmanischen Reich los und gründeten eigene Staaten. Andere Völker kämpfen bis heute um ein eigenes Staatsgebiet. Die Kurden, deren Siedlungsgebiet in der Türkei und mehreren anderen Staaten im Nahen Osten liegt, kämpfen bis heute um einen eigenen Staat. Insbesondere von der Türkei, wo die meisten Kurden leben, werden sie seit Jahrzehnten mit militärischer und politischer Härte daran gehindert. _________________________________ Zwischen dem Osmanischen Reich und den Habsburgern kam es immer wieder zu Konflikten. Einige Gebiete befanden sich abwechselnd auf habsburgischem und osmanischem Territorium. Mit dem Aufkommen der Nationalidee und des nationalen Liberalismus verstärkten sich alte Konflikte noch mehr. Vor allem auf der Balkanhalbinsel lässt sich dieses Phänomen beobachten. Minilexikon Balkanhalbinsel, die = geografisches Gebiet in Südosteuropa Doppelmonarchie ÖsterreichUngarn, die = Der Kaiser von Österreich war gleichzeitig der König von Ungarn. Der ungarische Adel behielt aber seine Macht. Die Doppelmonarchie bestand von 1867 bis 1918. Vertiefung II: Vielvölkerstaaten MUSTER

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