25 Die Frühe Neuzeit 1 Menschen mit Behinderung Beginn der Abgrenzung „behindert“ – „nicht-behindert“ Behinderungen wurden im christlichen Mittelalter stärker als Abweichung von etwas angeblich „Normalem“ angesehen als davor in der Antike. Eine Behinderung wurde als „Strafe Gottes“ dargestellt. Menschen mit einer Behinderung wurden häufig an den Rand der Gesellschaft bedrängt und waren von Almosen abhängig. In der Antike war vielfach noch viel weniger deutlich zwischen „behinderten“ und „nichtbehinderten“ Personen unterschieden worden als später im christlichen Mittelalter: Mit der Neuzeit änderte sich im Grunde nichts an der strikten Abgrenzung von „behinderten“ zu „nicht-behinderten“ Menschen. Im Zuge der Renaissance stieg aber das Interesse an der Medizin. Es wurde versucht, vor allem Menschen mit psychischen Behinderungen zu behandeln bzw. zu „heilen“. Sehr oft wurde mit Gewalt gegen die Betroffenen vorgegangen. Menschen mit psychischen Behinderungen mussten beispielsweise stundenlang im eiskalten Wasser baden oder es wurden ihnen körperliche Schmerzen angedroht. Psychisch kranke Menschen sollten durch Gewalt zu einem „normalen“ Verhalten gezwungen werden. Aufklärung – ein neuer Zugang In Wien wurde 1784 unter dem österreichischen Kaiser Joseph II. eines der weltweit ersten psychiatrischen Spitäler gebaut. Das Gebäude, das bis heute Narrenturm genannt wird, steht dabei als Sinnbild für eine veränderte Einstellung gegenüber geistig kranken Menschen. Geistig kranke Menschen sollten menschlich behandelt werden. Unauffällige Patientinnen und Patienten konnten sich frei bewegen. Aber auch im Narrenturm wurden Menschen angekettet und festgegurtet, wenn sie für die Ärzte und das Pflegepersonal zu problematisch wurden. Abb. 26: Der holländische Arzt Herman Boerhaave (1668– 1738) bei der „Behandlung“ psychisch kranker Menschen. Die Patientinnen werden mit glühenden Haken eingeschüchtert und damit „beruhigt“. Zeichnung, 1710 „Ein wesentlicher Teil der griechischen Bevölkerung in der Antike bestand aus Menschen mit chronischen körperlichen Beeinträchtigungen. Viele der Ursachen, die zu bleibenden Handicaps führten, sind in der heutigen westlichen Welt behandelbar bzw. eliminiert worden. Unterstützung und Betreuung pflegebedürftiger Menschen war nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Familie. Menschen, die nicht in der Lage waren, für sich selbst zu sorgen, wurden nicht (wie heute üblich) isoliert, sie waren und blieben Teil der Familie und der Gemeinschaft.“ Fabian Dehmel, Behinderung in der Antike; https://autismus-kultur.de/zeitalter-derbarmherzigkeit/ (26.02.2024) Abb. 25: Martino di Bartolomeo, Der Hl. Stephanus bei der Verbrennung eines „Wechselbalgs“, Gemälde, ca. 1390 das Almosen, die Almosen: veraltet: eine kleine freiwillige Spende an Menschen in Not der Wechselbalg, die Wechselbälger: der Wechsel + der Balg (= ein unangenehmes Kind, eine „gefüllte Haut“) veraltet: ein hässliches, missgestaltetes Kind die psychische Behinderung: eine Behinderung, die die geistigen bzw. mentalen Fähigkeiten eines Menschen beeinträchtigt Dem mittelalterlichen Volksglauben nach wechselte der Teufel gesunde Kinder geheim gegen missgestaltete Kinder – sogenannte Wechselbälger – aus. Kinder mit sichtbarer Behinderung wurden also als ein Produkt des Teufels angesehen, vielfach wurde damit auch ihre Tötung gerechtfertigt (vgl. Abb. 25). MUSTER
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