Der Erste Weltkrieg 7 110 7.4 Kriegserfahrungen von Soldaten Der Alltag im Graben Aufgrund der staatlichen Propaganda zogen Soldaten teilweise wohl tatsächlich mit positiven Gefühlen in den Krieg, aber die Zustände an den Kriegsschauplätzen waren schrecklich. In den Gräben beispielsweise waren die Soldaten Regen, Schnee, Kälte oder Hitze schutzlos ausgeliefert. Auch der bekannte Trenchcoat („Grabenmantel“) der englischen und französischen Soldaten schützte nicht lange vor Regen, Schlamm, Wind und Kälte. Es war feucht, beengt und gefährlich. Bei Angriffen musste man sich davor fürchten, in den Unterständen und Bunkern zu ersticken, da diese leicht einstürzen konnten. Zudem waren Krankheiten aufgrund sehr schlechter Hygienemöglichkeiten häufig. So gab es während des Ersten Weltkriegs die Ruhr, Cholera, Typhus und die Spanische Grippe. In den Gräben gab es auch Ratten und Läuse. Verschüttete Gräben mussten bei Nacht heimlich freigeschaufelt werden. Auch diese Arbeit bedeutete Todesgefahr, da auf die Soldaten geschossen werden konnte. Das Schlimmste in den Gräben war jedoch die allgegenwärtige Präsenz von Krankheit, Verletzung und Tod. Die gefallenen Soldaten wurden nahe der Gräben vergraben, aber bei Artilleriebeschuss konnte es vorkommen, dass durch die Erschütterung die Leichen wieder an die Oberfläche kamen. Ernst Simmel war während des Ersten Weltkrieges Militärarzt. Über die schrecklichen Erlebnisse der Soldaten schrieb er: der Bunker, die Bunker: eine Schutzanlage vor militärischen Angriffen die Ruhr: eine Infektionskrankheit, die Fieber, starke Krämpfe und schleimigen Durchfall auslöst die Cholera: Gallenbrechdurchfall; Infektionskrankheit, die starken Durchfall und Erbrechen auslöst und unbehandelt oft tödlich endet der Typhus: eine Infektionskrankheit, die Fieber, massive Schwäche und oft Bewusstseinsstörungen auslöst fallen – fiel – gefallen: hier: Umschreibung für „im Kampfeinsatz getötet“ das Lazarett, die Lazarette: ein provisorisches Krankenhaus für Soldaten oder andere Menschen in Notsituationen (z. B. für die Opfer von Erdbeben) An der hoch infektiösen „Spanischen Grippe“ starben zwischen 1918 und 1920 geschätzt 20–100 Millionen Menschen. In den kriegsführenden Nationen sollte die Krankheit aus Propagandzwecken geheim gehalten werden. Ihren Namen erhielt die Infektionskrankheit, weil aus dem neutralen Spanien von der Pandemie berichtet wurde. Aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse entwickelten viele Soldaten eine posttraumatische Belastungsstörung. Diese Männer wurden nach dem Ersten Weltkrieg „Kriegszitterer“ genannt. Sie wurden vielfach gesellschaftlich verachtet. „Man muß die Kriegsereignisse selbst […] miterlebt haben, um zu verstehen, welchen Anstürmen das Seelenleben eines Menschen ausgesetzt ist, der nach mehrfacher Verwundung wieder ins Feld muß, […] sich unrettbar dem Mordungetüm eines Tanks oder einer sich heranwälzenden feindlichen Gaswelle ausgesetzt sieht, der durch Granattreffer verschüttet und verwundet, oft stunden- und tagelang unter blutigen, zerrissenen Freundesleichen liegt und […] dessen Selbstgefühl schwer verletzt ist durch ungerechte, grausame […] Vorgesetzte, und der doch still sein, sich selbst stumm niederdrücken lassen muß von der Tatsache, daß er als einzelner nichts gilt und nur ein unwesentlicher Bestandteil der Masse ist“ Ernst Simmel, Psychoanalyse und ihre Anwendungen. Ausgewählte Schriften, Frankfurt a. M. 1993, S. 23 Abb. 11: Ein Gruppenbild von verwundeten Soldaten und Personal in einem Lazarett aus dem Ersten Weltkrieg; Aufnahmeort und -datum unbekannt MUSTER
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