II Übungsteil 176 schreibt dem Hoteldirektor und der Zentrale einen Brief. Dann kommt es zu einem Termin mit dem Küchenchef, dem Direktor, Luka und seiner Mutter. Das Ergebnis: keine Entschuldigung. Kein Gespräch über den Vorfall. Der Direktor rät Luka, in eine Kochschule zu gehen und nicht in einem Betrieb zu arbeiten. Aber das will Luka nicht. […] Junge Arbeitnehmer:innen sind auf die Hilfe des Umfelds angewiesen Junge Arbeitnehmer:innen lassen sich vieles gefallen, sagt Admir Bajric. Nach neun Jahren Schulpflicht liegt das Mindestalter in Österreich, um eine Lehre zu beginnen, bei 14 Jahren. „Junge Menschen wissen nicht, was die Grenzen sind. Was ihre Rechte sind. Sie sind oft schüchtern und haben ein geringes Selbstbewusstsein. Deshalb sind sie stark auf ihr Umfeld angewiesen“, sagt der Rechtsberater der Arbeiterkammer (AK). Freund:innen und Familie müssen wach und aufmerksam sein, denn es sei wichtig, so früh wie möglich zu handeln, so Bajric. Mit den Eltern oder mit einer Bezugsperson über die Situation zu sprechen, sei ein erster wichtiger Schritt, denn Außenstehende haben oft einen anderen Blick auf die Lage. Die meisten Lehrlinge kommen zu spät in die Beratung. „Da ist dann bereits sehr viel vorgefallen oder die Lehre schon abgebrochen“, sagt Bajric. Da sei es dann zwar nicht zu spät für eine Klage auf Schadensersatz, aber auch das dürfe man nicht unterschätzen: „Gerichtsverfahren gibt es eher selten. Sie bedeuten für die Betroffenen außerdem großen psychischen Stress und Druck“, sagt Bajric. Der Fokus der jungen Menschen liege nach dem Abbruch auf der Suche nach einer neuen Lehrstelle oder sie haben schon eine und sind da sehr eingespannt. Meistens laufe es nach Interventionen2 der AK auf eine einvernehmliche oder außergerichtliche Lösung hinaus. „Junge Menschen ohne Ausbildung, aber mit psychischen Schäden” Wer Probleme in der Arbeit hat, sollte rasch Kontakt mit der AK aufnehmen, sagt Admir Bajric. Das ist auch anonym möglich. Es gehe darum, abzuklären, ob ein Verhalten oder ein Vorfall normal ist oder nicht, und was ein Lehrling tun kann und was seine Rechte sind. Sollte es Handlungsbedarf geben, wird das Unternehmen von der AK kontaktiert und aufgefordert, seiner Fürsorgepflicht nachzukommen. Eine Art Mobbing-Tagebuch sei ebenfalls hilfreich, sagt der Berater. Zu protokollieren, wer wann was gesagt oder getan hat und wer noch dabei war. Auch Screenshots von Messenger-Nachrichten oder EMails helfen für die Beweislage. Einfach aushalten und durchducken ist keine gute Strategie. Viele Lehrlinge halten schlechte Verhältnisse am Arbeitsplatz viel zu lang aus und entwickeln nach der Ausbildung psychische Probleme. „Das ist schon tragisch, am Ende stehen junge Menschen ohne Ausbildung da und haben psychisch Schaden genommen“, sagt Bajric. Panikattacken und Essstörungen seien häufig Probleme bei Lehrlingen mit Gewalterfahrungen, so Bajric. Bis heute arbeitet Luka in demselben Hotel unter demselben Küchenchef, der ihn angeschrien hat, erniedrigte und schubste. „Ich werde behandelt, als wäre ich kein Mitarbeiter, kein Lehrling, kein Mensch“, sagt der Bursche. „Als Lehrling hat man immer Schuld, man ist immer der Trottel.“ Auf eine Bewerbung in einem anderen Hotel bekam der 15-Jährige eine Absage. Luka steht allein da. Vorfälle von Aggression und Gewalt gab es zahlreiche in dem Betrieb unter dem Küchenchef, aber niemand hat sich bisher beschwert. „Das ist das Problem“, sagt Luka. „Alle haben Angst. Keiner macht den Mund auf. Wenn einem nicht geglaubt wird, ist man noch mehr Zielscheibe“, sagt der Koch-Lehrling. Eine Lehrlingskollegin wurde in der Vergangenheit ebenfalls vom Küchenchef schikaniert. Das Mädchen ging zur Direktionsassistentin und zum Direktor. Die Auszubildende hat aber nicht die Arbeiterkammer oder die Zentrale kontaktiert. Sie habe ihre Lehre abgebrochen, erzählt Luka. „Man kann in dem Betrieb niemandem vertrauen“, sagt der Bursch resigniert3. „Entweder man ist dort Opfer, oder der Chef manipuliert die Leute so, dass man mitmacht und Mittäter wird. Es herrscht so ein Druck, dass man sich entscheiden muss.“ Die Entscheidung, Koch zu werden, bereut Luka aber nicht. „Kochen macht mir wirklich großen Spaß.“ Der Bursch zeigt mir Fotos von Essen auf seinem Smartphone, das er in der Berufsschule zubereitet hat. Nockerl mit Paprikahendl, Topfendessert auf Fruchtspiegel und sein Lieblingsrezept: Knödel mit Wurzelgemüse und Hühnergeschnetzeltem. Luka strahlt. Er ist stolz. Im Lehrbetrieb hat er bis heute aber noch nichts gekocht. 1 Schmäh führen: Witze oder lustige Geschichten erzählen (informell, Wiener Dialekt) 2 die Intervention: wenn sich jemand in eine Situation einmischt, um etwas zu verändern oder zu helfen 3 resigniert: entmutigt, frustriert, hoffnungslos Quelle: Stegmaier, Anja: Gewalt in der Lehre: „Man ist immer der Trottel“. In: Wiener Zeitung vom 19.06.2024. Online: https://www.wienerzeitung.at/a/gewalt-in-der-lehre-man-ist-immer-der-trottel (17.04.2025) 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 140 145 150 155 160 165 170 175 180 185 MUSTER
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