149 8 Erörtern und Empfehlen bitten können. Belohnungsprogramme verringern die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter neue Lösungswege für Probleme entwickeln oder schlechte Entscheidungen anzweifeln. Zu der Zeit als die ersten Behavioristen ihre Ideen entwickelt haben, bestand die Alternative darin, zu strafen. Auch deshalb werden Belohnungen oft durch den Verweis gerechtfertigt, dass sie besser seien als Strafen. Kohn zeigt jedoch, dass dadurch eine falsche Alternative aufgemacht wird; denn Belohnungen und Strafen sind im Grunde eher zwei Seiten derselben Medaille. Manchmal wird diese Nähe auf besonders hinterhältige Weise deutlich. Wenn Menschen eine kollektive Belohnung versprochen wird, und diese Belohnung nachher verweigert wird, weil Einzelne sich nicht wie gewünscht verhalten haben, wird dies vermutlich als Strafe empfunden. Wenn die Verweigerung überdies mit der Bemerkung einhergeht, da könnten sie sich jetzt bei X und Y bedanken, werden X und Y gleich doppelt bestraft. Langfristig verdrängen Belohnungen die vorhandene Motivation Das entscheidende Argument ist jedoch, dass Belohnungen die vorher schon vorhandene Motivation, die sie stärken sollen, langfristig verdrängen. Kinder, die für das Malen von Bildern belohnt werden, malten nach dem Wegfall der Belohnungen nicht nur Bilder von schlechterer Qualität, sie malten überhaupt weniger als die Kontrollgruppe. Dieser Effekt wird in der Literatur als Korrumpierungseffekt2 bezeichnet: Die Belohnung als äußere – extrinsische – Motivation verdrängt die innere – intrinsische3 – Motivation. Doch warum ist das so? Wenn eine Tätigkeit als Voraussetzung für etwas dargestellt wird, als Mittel, um etwas anderes zu bekommen, dann erscheint sie dadurch weniger wert: Wenn man mich bestechen muss, um zu malen, ist malen offenbar nicht so toll. Auch Lob ist problematisch Kritiker an Kohns Schlussfolgerung […] gehen davon aus, dass der Korrumpierungseffekt nur dann auftritt, wenn die Methode falsch angewendet wird. Die Lösung bestehe folglich nicht darin, weniger zu belohnen, sondern darin, besser zu belohnen. […] Wichtig sei hingegen, Verstärker nicht vorher anzukündigen, verbal zu belohnen (zu loben) und Leistung oder Bemühen, nicht jedoch die Tätigkeit selbst zu belohnen. […] Für unseren Alltag jedoch müsste schon allein die erste Erkenntnis, dass Belohnungen sogar aus Sicht der Befürworter nur dann wirken, wenn sie nicht angekündigt werden, dramatische Konsequenzen haben; denn dann fällt ja weg, was vielen im Alltag der entscheidende Hebel zu sein scheint. Dann müssten wir uns doch genau(er) überlegen, wie wir das Kind motivieren könnten, leise zu sein, wir müssten darüber nachdenken, wie Unterricht aussehen könnte, der Schüler begeistert, ihre Aufgaben zu erledigen und wie wir Arbeit so organisieren, dass sich die Mitarbeiter engagieren – ohne ihnen vorab eine Belohnung versprechen zu können. Vielleicht sind Belohnungen uns einfach zu selbstverständlich geworden. Im Grunde haben nicht wir diese Idee, sondern sie hat uns. Es ist an der Zeit, das zu ändern. 1 Behaviorismus: Teil der Biologie, der das Verhalten von Menschen und Tieren erforscht und erklärt 2 Korrumpierung: Bestechung; Verleiten zu zweifelhaften Handlungen 3 extrinsische Motivation: Menschen werden vor allem durch äußere Anreize (Belohnung, Bestrafung, Gruppenzwang) motiviert; intrinsische Motivation: Menschen werden durch inneren Antrieb (ehrliche Freude an der Tätigkeit, Werte, Sinnhaftigkeit) motiviert Quelle: Dietz, Hella: Belohnen ist das neue Bestrafen. In: Die Zeit vom 31.07.2023. Online: www.zeit.de/kultur/2017-03/ erziehung-belohnungen-psychologie-verhalten-motivation-10nach8/komplettansicht (02.03.2024, gekürzt) Beispieltext: Nachhaltiges Lernen, zeitgerechte Abgaben und wirklich gute Erfolge in der Schule? Viele Schüler/innen klagen darüber, dass sie gar nicht wissen, wie das gehen könnte. Häufige Ursache ist ein Mangel an Motivation. Schon 2017 hat Hella Dietz in der deutschen Wochenzeitschrift „Die Zeit“ in der Ausgabe vom 31. März auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Sie geht in ihrer ausführlichen Diskussion der Problematik auf ein lernpsychologisches Missverständnis ein, nämlich auf das Belohnen, dessen Folgen hier nun diskutiert werden sollen. Einstieg und Aufmerksamkeit gewinnen Bezugnahme auf die Beilage 75 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 140 145 5 MUSTER
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