Zucker im Kopf: Wie Kinder auf Süßes programmiert werden Werbung, Junkfluencer, Ernährung: Wie Eltern gegensteuern können – und warum die Politik endlich handeln muss. „Mama, Papa, darf ich ein Eis?“ Diese Frage hören Vesna und Jova Stepnic im heurigen Sommer mehrmals täglich. Die Zwillinge Mira und Andre, fünf Jahre alt, sitzen in einer Korbschaukel und lassen sich von ihrer Mutter antauchen. […] Besonders drängen Mira und Andre, wenn sie „Paw Patrol“, „Peppa Wutz“ und andere Lieblingssendungen auf YouTube gesehen haben. „Dann heißt es beim Einkaufen: ‚Papa, wir wollen die neue Schokolade oder die neuesten Gummischlangen ausprobieren‘“, sagt Stepnic, der mit Trockenbau sein Geld verdient. Tatsächlich zählt Werbung zu den Hauptgründen, warum Kinder von Süßigkeiten nicht genug bekommen. 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel sehen Kinder zwischen drei und 13 Jahren im Durchschnitt täglich, wie eine Studie der Universität Hamburg kürzlich zeigte. Aber auch das Verhalten der Eltern und das Angebot in Kindergarten und Schule prägen entscheidend mit, wie viel Süßes Kinder im Alltag verputzen. Die Pandemie hat die Bildschirmzeit der Kleinen zudem vervielfacht, Turnen und Bewegung gleichzeitig eingeschränkt. Damit stieg auch die Zahl der Übergewichtigen: Vor der Pandemie war jedes fünfte Kind zu schwer, heute ist es jedes vierte, wie die Österreichische Adipositas1 Gesellschaft berechnet hat. […] Einmal Zucker, immer Zucker Kinder werden auf Zucker programmiert. Den eindrucksvollen Nachweis dafür lieferte heuer im Frühjahr eine Studie zum Ende der Zuckerrationierung in Großbritannien. […] Fazit: Wer früh auf Zucker konditioniert2 wird, fliegt ein Leben lang auf Süßes. Maximal ein Stück Süßes täglich In den ersten zwei Lebensjahren haben Vesna und Jova Stepnic ihre Zwillinge quasi ohne Zucker ernährt. Süßes kannten die Kinder höchstens von zerdrücktem Obst. Das ist exakt, was Medizinerin Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien, empfiehlt. Zu viel Zucker bringt den Stoffwechsel durcheinander, der Körper benötigt zu viel Insulin; Hunger- und Sättigungsgefühl geraten aus den Fugen. […] Schlechte Ernährung ist ein Bildungsproblem Was aber tun, wenn die Kinder bereits auf Zucker programmiert sind? Um sie von Limonaden oder Fruchtsäften zu entwöhnen, können die Eltern das Lieblingsgetränk immer stärker mit Wasser verdünnen. „Insgesamt ist es das Wichtigste, Struktur in den Alltag zu bringen“, rät Greber-Platzer. Jeder Tag sollte einem Plan folgen: Gemeinsam frühstücken, nach Ferienbetreuung, Kindergarten oder Schule sollte körperliche Aktivität folgen, wie Spielplatzbesuche, Radfahren oder ein Sportkurs. Abends sollten Eltern und Kinder möglichst gemeinsam kochen und essen. Ein kleines Stück Süßes sollte maximal einmal täglich auf den Tisch kommen, zum Beispiel als kleine Nachspeise. Wichtig sei ebenfalls, mit den Kindern über ihren Tag, ihre Ängste und Sorgen zu sprechen. „Häufig ist übermäßiges Essen eine Strategie, mit Problemen fertigzuwerden“, so die Expertin. Können Süßungsmittel helfen, Naschkatzen vom Zucker abzuhalten? Kaum, darin sind sich Medizinerinnen einig. Auch Sucralose3, Cyclamat4, Aspartam5 und Saccharin6 verstärken die Gier nach Schleckereien. Zudem stehen sie im Verdacht, die Darmflora zu verändern. Der Süßstoff Aspartam wurde außerdem von der WHO kürzlich als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Auch wenn man täglich mehrere Dosen Softdrinks trinken müsste, um den empfohlenen Grenzwert zu überschreiten. Übergewicht trifft häufiger sozial schwächere Familien und Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad, das haben internationale wie österreichische Studien erwiesen. Oft fehlt das Wissen über gesunde Ernährung oder schlicht die Zeit, sich damit zu befassen. Sind beide Eltern übergewichtig, haben ihre Kinder kaum mehr eine Chance: Ihr Risiko, ebenfalls zu viel zu wiegen, liegt bei 70 Prozent. Die Gründe dafür sind aber nicht nur genetisch. Kinder ahmen nach, was ihnen die Eltern vorleben. Wenn die Erwachsenen große Bissen machen, ihre Mahlzeiten nebenbei hinunterschlingen, viel Süßes und Limonade verdrücken, nehmen sich die Kinder das zum Vorbild. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 127 6 Zusammenfassen MUSTER
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