20 © Westermann Überschrift © Westermann 5.4.2.1 Phonetisch-phonologische Ebene Im Kontext Schule begegnet man vielen Kindern mit Ausspracheschwierigkeiten. Diese können sehr vielfältig sein, dennoch gibt es auch im schulischen Rahmen bestimmte Fördermöglichkeiten, die Lehrkräfte durchführen können. Grundsätzlich ist Ausspracheförderung am Spracherwerb und insbesondere am Erwerb der Lautsprache orientiert. Kinder entnehmen der Kommunikation sprachliche Regeln und wenden diese an. Kinder mit sprachlichen Auffälligkeiten fällt dieses schwerer, sie müssen die Möglichkeit erhalten, ihre sprachlichen Fähigkeiten in spezifischen Förder- und Unterrichtssituationen gezielt weiterzuentwickeln. Die folgenden grundlegenden Hilfen sind im Unterricht unbedingt zu berücksichtigen: ‧‧ Bereitstellen konkreter Handlungsmöglichkeiten im Unterricht ‧‧ Einsatz von Schrift ‧‧ Arbeit mit spezifischen phonologischen Merkmalen, Arbeit mit Minimalpaaren ‧‧ Einsatz von Reimen und sprachrhythmischen Übungen ‧‧ Einsatz von Methoden der Visualisierung (Markieren) Für die Lautanbahnung sind Visualisierungen hilfreich. Die Lehrkraft kann dabei als Modell fungieren. Visualisierungshilfen können etwa die Karibu Lautgebärden, Mundstellungsbilder (vgl. Klasse 1) oder auch ein Kiefermodell sein, die bei der phonetisch korrekten Bildung von Lauten unterstützend wirken, denn sie dienen der bewussten Wahrnehmung der eigenen Aussprache. Bei der Förderung phonologischer Prozesse geht es um das Aufzeigen der bedeutungsunterscheidenden Funktion der einzelnen Phoneme (vgl. Singer 2011). Sinnvoll ist dabei beispielsweise die Arbeit mit Minimalpaaren, bei der es um die bewusste Konfrontation des Kindes mit unterschiedlichen phonologischen Systemen geht. 5.4.2.2 Semantische Ebene Die semantische Ebene umfasst die Speicherung und den Abruf von sprachlichem Wissen, insbesondere den Erwerb von Bedeutungen. Im Rahmen eines ungestörten Spracherwerbs ist ein Kind ab dem Alter von drei Jahren in der Lage, über Sprache zu reflektieren. Zuvor werden Wörter eher unbewusst oder aus dem Handlungskontext heraus entnommen. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr haben die Kinder dann fast eine vollständige Sprache erlernt. In der Schule bereiten den Kindern neben den Fachbegriffen viele auf den ersten Blick einfache Wörter Probleme. Die Bedeutungsveränderung von Wörtern durch Prä- und Suffixe ist eine der größten Stolpersteine für sprachschwache Kinder. Die Semantik des Verbes sehen (z. B. durch die veränderten Präfixe nachsehen, vorsehen, aussehen, übersehen) lässt sich nicht über die gleichbleibende Semantik der Präfixe generell erklären, sondern muss für jedes Wort neu erlernt werden. Ebenfalls die Semantik abstrakter Begriffe wie Partikel, Abstrakta oder unpersönliche Formulierungen wie „Man kann …“ und „Es ist …“ sind schwer zu erschließen. Ebenso kann die Verwendung von Passivkonstruktionen das Textverständnis negativ beeinflussen. Ist dies den Lehrkräften bewusst, können zu erschließende Texte zunächst vorentlastet und von diesen Formulierungen befreit werden, um den Fokus der Kinder auf die wesentlichen Inhalte zu legen. Natürlich ist eine langfristige Vermeidung bestimmter Formulierungen nicht sinnvoll. Lehrkräften sollte jedoch bewusst sein, welche Schwierigkeiten in altersangemessenen Texten für sprachschwache Kinder liegen. Darüber hinaus gibt es weitere Ausgangspunkte, die das semantische Wissen beeinträchtigen können. Diese Stolperfallen sind bei Osburg (2011) zusammengefasst: ‧‧ Das Kind hat Schwierigkeiten im phonetisch-phonologischen Bereich, d. h., es realisiert sprachlich falsche Begriffe (Tasche – Tasse). ‧‧ Die gespeicherten Repräsentationen können nicht abgerufen werden, d. h., das Kind ist nicht in der Lage, sprachlich mit dem Begriff zu operieren. ‧‧ Der Inhalt bzw. der Sinn größerer sprachlicher Einheiten kann nicht entnommen werden. ‧‧ Vernetzungen zwischen Begriffen und Inhalten sind nicht stabil und können nicht abgerufen werden. Für den Unterricht lässt sich festhalten, dass viele der genannten Stolperfallen durch gezielte Maßnahmen im Unterricht entschärft werden können. Kinder mit Deutsch als Zweit-/Zielsprache vergessen häufiger im Unterricht verwendete Fachbegriffe, weil sie einerseits doppelt gefordert sind, da sie nebenbei auch Wörter aus der Alltagssprache erlernen müssen. Anderseits ist durch vielfältige Spracherwerbsstudien bekannt, dass neuer Wortschatz schlechter gelernt wird, wenn erst ein geringer Wortschatz vorhanden ist, und es den Lernenden dadurch schwerer fällt, neue Begriffe in bereits vorhandene Sprachmuster einzubauen. Umso wichtiger ist es, den Fokus im Unterricht immer wieder auf die Wortschatzarbeit zu legen. Texte müssen von allen Schülerinnen und Schülern sprachlich durchdrungen sein, bevor sie überhaupt mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung oder der Bearbeitung von Aufgaben beginnen können. So müssen komplexe Satzstrukturen oder Fachbegriffe vor der Bearbeitung am besten schriftlich fixiert werden. Um sich als Lehrkraft zu versichern, dass die Semantik erfasst wurde, kann es hilfreich sein, die Kinder verbale Umschreibungen oder Synonyme finden zu lassen. Auch eine Übersetzung in die Erst- bzw. Ausgangssprache oder Deutsch als Zweit-/ Zielsprache
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