Denkmal 5/6 + E-Book

260 In den kleineren und mittleren europäischen Staaten setzte sich nach 1815 der politische und wirtschaftliche Liberalismus durch. Die Industrialisierung verlief in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Trotzdem wuchs die Bevölkerung in all diesen Staaten zwischen 1800 und 1900 enorm. Belgien Der Wiener Kongress hatte 1815 das „Königreich der Vereinigten Niederlande“ geschaffen. Da dieser neue Staat allerdings vom protestantischen, flämischen Norden dominiert wurde, verbanden sich katholische, liberale und nationale Strömungen im Süden und erklärten 1830 ihren Teil, das neue Königreich Belgien, für unabhängig. Es wurde zu einer liberalen, parlamentarischen Monarchie. Die militärische Intervention der Niederlande konnte mit französischer Hilfe abgewehrt werden. Belgiens Selbstständigkeit und ewige Neutralität wurde schließlich von den europäischen Großmächten garantiert. Der flämisch-wallonische Gegensatz prägt Belgien aber bis heute. Das Land wurde schnell zu einem Zentrum der Industrialisierung. Im Jahr 1900 war das kleine Belgien die fünftstärkste Volkswirtschaft der Welt. Außerdem war es eine Keimzelle der Arbeiterbewegung, die sich nach den sozialen Unruhen (M 2) von 1886 formierte und für Arbeitnehmerrechte kämpfte. Die Schweiz 1815 war auch die Unabhängigkeit und „immerwährende bewaffnete Neutralität“ der Schweiz bestätigt worden. Der Kleinstaat gab sich 1848 eine föderative Bundesverfassung, die 1874 eine starke direktdemokratische Ausrichtung erhielt. Die rasche Industrialisierung zog viele ausländische Arbeitskräfte ins Land, sodass vor dem Ersten Weltkrieg ein Siebtel der Bevölkerung immigriert war. Außerdem war die Schweiz bis 1914 als Zufluchtsort politisch Verfolgter bekannt und wurde dafür von den Großmächten oft kritisiert. Linksgerichtete Revolutionäre wie Lenin oder Rosa Luxemburg (M 1) fanden hier ebenso Asyl wie die deutschnationalen Künstler Richard Wagner und Gottfried Semper nach der gescheiterten Revolution von 1848. Die skandinavischen Staaten Im Norden Europas etablierten sich im 19. Jh. parlamentarische Monarchien liberaler Prägung. Dänemark hatte durch das Bündnis mit Napoléon nach 1815 seine politische Vorrangstellung und die Herrschaft über Norwegen verloren. 1866 musste auch Schleswig-Holstein an Preußen abgetreten werden, fast ein Drittel des dänischen Staatsgebiets. Seither verfolgt Dänemark eine strikt-neutrale Außenpolitik. Lange konzentrierte sich das Land auf die Landwirtschaft, erst später wurden andere Industriezweige wie der Schiffsbau entdeckt. Schweden etablierte sich im 19. Jh. als die wirtschaftlich führende Kraft in Skandinavien. Zwar wurde 1808 Finnland an Russland verloren (das Land blieb bis 1917 ein russisches Großfürstentum), dafür regierten die schwedischen Könige von 1814 bis 1905 auch Norwegen. Die lange Tradition hochentwickelter Metallverarbeitung beschleunigte die Industria- lisierung ebenso wie die bereits 1827 gegründete Königlich Technische Hochschule in Stockholm. Stahl- und Holzexporte begründeten den schwedischen Wohlstand. Holz und seine Weiterverarbeitung in der Papierindustrie spielten auch in Norwegen und Finnland eine große Rolle, dennoch blieben die beiden Länder lange hinter der Entwicklung Schwedens zurück. Norwegen, seit 1905 unabhängig, war lange Zeit vom Fischfang abhängig und wirtschaftlich schwach. Es wurde erst durch die Ölfunde im 20. Jh. zu einem finanzstarken Land. Kleine und mittlere Staaten im Europa des 19. Jahrhunderts 6.5 M 1: Rosa Luxemburg (1871–1919) war eine sozialistische Politikerin. Sie war viele Jahre lang Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und gründete am 1. Januar 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands. Zwei Wochen danach wurde sie in Berlin ermordet. Foto, 1905. Flamen, die Selbstbezeichnung der niederländischsprachigen Einwohnerinnen und Einwohner des nördlichen Belgien. Wallonen, die Selbstbezeichnung der französischsprachigen Einwohner des südlichen Belgien. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 MUSTER

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