256 Das Deutsche Kaiserreich entsteht 6.3 Im heutigen Deutschland bestanden seit dem Westfälischen Frieden 1648 viele kleine, voneinander unabhängige Gebiete. Der Wunsch nach einem einheitlichen Staat wurde im 19. Jahrhundert durch den Nationalismus immer größer. Dabei verstärkte ausgerechnet ein Franzose diesen Drang nach einem eigenen Staat – Napoléon. Napoléon – der Einiger des deutschen Volks? Auf dem Höhepunkt seiner Macht initiierte Napoléon die Gründung des Rheinbundes. 16 deutsche Staaten traten aus dem Heiligen Römischen Reich (das infolgedessen aufgelöst wurde) aus und gründeten einen eigenen Bund, der unter napoleonischem Einfluss stand. Als Napoléon 1807 das Königreich Preußen besiegte, stand ein Großteil der deutschen Gebiete unter direkter oder indirekter französischer Herrschaft. Der Deutsche Bund Mit dem Ende von Napoléons Herrschaft zerbrach auch der Rheinbund. Der Wunsch nach einem nationalen deutschen Reich war durch die französische Fremdherrschaft aber bestärkt worden. Der lose „Deutsche Bund“, dem neben Österreich und Preußen alle deutschsprachigen Gebiete beitraten, entsprach jedoch nicht den Vorstellungen vieler Deutscher, die sich einen deutschen Nationalstaat wünschten (s. 6.1). Der Bund scheiterte vor allem am Streit über den Führungsanspruch zwischen Preußen und Österreich. In einem letztlich erfolglosen Versuch, ein Deutsches Reich zu schaffen, diskutierte die Frankfurter Nationalversammlung 1848, ob eine kleindeutsche oder eine großdeutsche Lösung angestrebt werden sollte. Die kleindeutsche Variante sah vor, dass alle deutschen Gebiete mit Ausnahme des Habsburgerreiches zu einem Bundesstaat zusammengeschlossen werden sollten. In der großdeutschen Lösung sollten alle deutschsprachigen Gebiete, auch jene der Habsburger, zu einem Staat vereint werden. Dies hätte aber nur gelingen können, wenn sich das Habsburgerreich von allen nicht deutschsprachigen Gebieten getrennt hätte. Das Deutsche Kaiserreich Das hegemoniale Streben zwischen Österreich und Preußen fand 1866 in der Schlacht von Königgrätz seinen Höhepunkt, in der Preußen siegte und auf Basis der kleindeutschen Lösung den Norddeutschen Bund gründete. Als es zwischen Frankreich, das den Aufstieg seines Nachbarn kritisch betrachtete, und Preußen zum Krieg kam, siegten Preußen und seine süddeutschen Verbündeten (s. 6.4). Der preußische König Wilhelm I. nutzte diesen Erfolg und ließ sich 1871 in Versailles zum Deutschen Kaiser ausrufen. Er versammelte unter dem Deutschen Kaiserreich von da an auch die südlichen deutschen Gebiete, mit Ausnahme Österreichs. Bismarck – der eiserne Kanzler Maßgeblichen Anteil an der Gründung und dem darauffolgenden Aufstieg des Deutschen Kaiserreichs hatte Otto von Bismarck (M 1, S. 224), der von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident war. Trotz seiner konservativen Einstellung machte er auch mit den liberalen Kräften Politik, um seine Ziele durchzusetzen. Aufgrund eines wachsenden Dissens wurde er schließlich von Kaiser Wilhelm II. entlassen. M 1: „Deutschlands Zukunft“, Karikatur in der österreichischen Satirezeitschrift Kikeriki, 1870. Bildunterschrift: „Kommt es unter einen Hut? Ich glaube, ’s kommt eher unter eine Pickelhaube!“ Hegemonie, die Vorherrschaft Dissens, der Streit, Uneinigkeit 5 10 15 20 35 40 55 80 85 65 70 75 60 MUSTER
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