Denkmal 5/6 + E-Book

310 Österreichische Perspektive – das Ende der Monarchie 7.11 Mit dem Ersten Weltkrieg endete auch die österreichisch-ungarische Monarchie. In den Nachfolgestaaten hatte man über Jahrzehnte den Nationalitätenkonflikt dafür verantwortlich gemacht. In den letzten Jahren entwickelten Historikerinnen und Historiker eine neue These: Nicht der Nationalismus, sondern der Erste Weltkrieg habe das Ende gebracht. Die Monarchie im Krisenmodus Für die Habsburgermonarchie begann der Krieg katastrophal: Trotz großer Verluste blieb der Sieg gegen Serbien und Russland aus. Russische Armeen drangen in Galizien ein, die Bevölkerung flüchtete ins Hinterland. Die Behörden waren mit den Flüchtlingen überfordert. Trotzdem gelang es der angeschlagenen Armee bis 1917 mit deutscher Unterstützung, Serbien und Russland zu besiegen und gegen Italien durchzubrechen. Der Preis für diese Erfolge war allerdings hoch: Die Bevölkerung verelendete zugunsten der Produktion „kriegswichtiger“ Güter. Hunger, Erschöpfung und Kriegsmüdigkeit machten sich breit. Im Oktober 1918, vor dem Waffenstillstand (3. November), begann der Zerfall: Kronländer sagten sich los, Karl I. (M 1) verzichtete am 11. November auf die Regierungsgeschäfte, am 12. wurde die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen. Die Verträge von St. Germain (1919) und Trianon (1920) markierten schließlich das Ende. Alte Meistererzählung In den Nachfolgestaaten beeilten sich nun Politiker und Historiker (es waren nur Männer), die Existenz der neuen Staaten zu legitimieren. Ihre Meister- erzählung lautete so: Die Habsburgermonarchie sei ein „Völkerkerker“ gewesen, der die nach Unabhängigkeit strebenden Sprachgruppen unterdrückt hätte. Sie sei nicht mehr zeitgemäß gewesen, da die Zukunft modernen Nationalstaaten gehöre. Daher habe sie ihren inneren Nationalitätenkonflikten erliegen müssen. Ihr Untergang sei unausweichlich und alternativlos gewesen. Neue Interpretation Historikerinnen und Historiker stellen diese nationale Deutung mittlerweile infrage. Sie relativieren die Bedeutung der Nationalitätenkonflikte. Die Nachfolgestaaten übertrieben diese, um sich selbst zu legitimieren. Nationalismus gab es in der Monarchie sicherlich, doch war er ein Projekt der politischen Eliten, das im Alltag kaum von Bedeutung war. Das einfache Volk fühlte sich eher als Teil des Habsburgerreichs denn als Mitglieder sprachlich-ethnischer Gruppen. Erst der Krieg änderte das. Im Krieg stürzte die Monarchie in eine schwere Legitimitätskrise. Diese gründete in ihrem Missverhalten ihrer Bevölkerung gegenüber: 1. Die politischen Eliten gestatteten den Militärs, den Rechtsstaat durch sogenannte „Ausnahmeverfügungen“ in eine Militärdiktatur umzubauen (inkl. Pressezensur und Beschneidung staatsbürgerlicher Grundrechte). 2. Die Sprachgruppen wurden unterschiedlich behandelt: Vor allem den slawischsprachigen begegnete man mit Arroganz und Misstrauen. Sie wurden für Niederlagen verantwortlich gemacht. Die Behandlung der in Lager gepferchten Flüchtlinge Galiziens war katastrophal. 3. Den Behörden gelang es nicht, die Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Großer Hunger war die Folge. Das alles erschütterte das Vertrauen der Bevölkerung in die Monarchie und ihre Behörden und sorgte für Gleichgültigkeit ihrem Schicksal gegenüber. Nationalistische Politiker nutzten das, um ihr Ziel (eigener Nationalstaaten), zu realisieren. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 M 1: Kaiser Karl I. (1887–1922). Der letzte Kaiser von Österreich (1916– 1918), als König von Ungarn Karl IV., Fotografie 1917. Meistererzählung Als Meistererzählung bezeichnet die Geschichtswissenschaft historische Großdeutungen, die für eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte historische Erzählperspektive leitend werden. MUSTER

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