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308 Geschichtskulturelle Produktion: Im Westen nichts Neues 7.10 1929 erschien der Roman „Im Westen nichts Neues“, in dem Erich Maria Remarque ein realistisches Bild des Alltags eines jungen Frontsoldaten während des Ersten Weltkriegs zeichnete. Das Buch wurde zu einem Klassiker der Weltliteratur und zwischen 15 und 20 Millionen Mal verkauft. Von nationalistischen und autoritären Politikern verurteilt, wurde es von liberalen und demokratischen Kräften gefeiert. Bereits Ende 1930 wurde der Roman in Hollywood verfilmt und gewann unter anderem den Oscar für den besten Film. Die Aufführung des Films wurde im Deutschen Reich verboten, drei Jahre später verbrannten die Nationalsozialisten Remarques Werke bei der Bücherverbrennung in Berlin. 2014 erschien eine Graphic Novel zu dem Roman. M 2: Erich Maria Remarque (1898– 1970). Sein Roman „Im Westen nichts Neues“ machte ihn über Nacht berühmt und zu einem der populärsten deutschsprachigen Literaten. 1933 musste Remarque in die Schweiz emigrieren, 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1967 wurde ihm das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen, 1970 starb Remarque in der Schweiz. Foto, um 1960. M 3: Bei der nationalsozialistischen Bücherverbrennung wurden die Werke von jüdischen und pazifistischen Autorinnen und Autoren verbrannt. Auch Remarques Werke wurden dabei symbolisch zerstört. Foto, 1933. M 1: Der zweite Teil in Remarques Roman beginnt mit diesem Abschnitt: Wir zählen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam und bei den Einschlägen der Granaten wurden die gefrorenen Erdklumpen fast ebenso gefährlich wie die Splitter. Jetzt sind die Bäume wieder grün. Unser Leben wechselt zwischen Front und Baracken. […] Der Krieg ist eine Todesursache wie Krebs und Tuberkulose, wie Grippe und Ruhr. Die Todesfälle sind nur viel häufiger, verschiedenartiger und grausamer. Unsere Gedanken sind Lehm, sie werden geknetet vom Wechsel der Tage – sie sind gut, wenn wir Ruhe haben, und tot, wenn wir im Feuer liegen. Trichterfelder draußen und drinnen. Alle sind so, nicht wir hier allein – was früher war, gilt nicht mehr. Die Unterschiede, die Bildung und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen. Sie geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen auch Nachteile mit sich, indem sie Hemmungen wachrufen, die erst überwunden werden müssen. Es ist, als ob wir früher Geldstücke verschiedener Länder gewesen wären; man hat sie eingeschmolzen, und alle haben jetzt denselben Prägestempel. Will man Unterschiede erkennen, dann muss man schon genau das Material prüfen. Wir sind Soldaten und erst später auf eine sonderbare und verschämte Weise noch Einzelmenschen. Es ist eine große Brüderschaft, die ein Schimmer von dem Kameradentum der Volkslieder, dem Solidaritätsgefühl von Sträflingen und dem verzweifelten Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt zu einer Stufe von Leben, das mitten in der Gefahr, aus der Anspannung und Verlassenheit des Todes sich abhebt und zu einem flüchtigen Mitnehmen der gewonnenen Stunden wird, auf gänzlich unpathetische Weise. Es ist heroisch und banal, wenn man es werten wollte – doch wer will das? […] Das Leben hier an der Grenze des Todes hat eine ungeheuer einfache Linie, es beschränkt sich auf das Notwendigste, alles andere liegt im dumpfen Schlaf; – das ist unsere Primitivität und unsere Rettung. Wären wir differenzierter, wir wären längst irrsinnig, desertiert oder gefallen. Es ist wie eine Expedition im hohen Eise; – jede Lebensäußerung darf nur der Daseinserhaltung dienen und ist zwangsläufig darauf eingestellt. Alles andere ist verbannt, weil es unnötig Kraft verzehren würde. Das ist die einzige Art, uns zu retten, und oft sitze ich vor mir selber wie vor einem Fremden. Remarque, Erich Maria: Im Westen nichts Neues. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1998, S. 183 f. Q MUSTER

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