Denkmal 5/6 + E-Book

300 Der Weg in den Ersten Weltkrieg 7.6 Die Spannungen in Europa entluden sich 1914 schließlich in einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes: Was als regionaler Krieg begann, weitete sich innerhalb weniger Tage – wegen der verhängnisvollen Bündnispolitik – in einen globalen Flächenbrand aus. Dieser stieß die Menschheit in ungekanntes Leid und hinterließ eine veränderte Welt. Die Julikrise eskaliert Als der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand, und seine Ehefrau Sophie bei einem Aufenthalt in Sarajevo in Bosnien-Herzegowina am 28. Juni 1914 vom serbischen Nationalisten Gavrilo Princip (M 2) erschossen wurden (M 1), stürzte Europa in eine weitere Krise. Die Donaumonarchie machte Serbien für das Attentat verantwortlich. Belgrad stand schon seit Längerem in Konflikt mit Wien, weil es ein großserbisches Reich errichten wollte. In dieses sollten auch Gebiete Österreich-Ungarns integriert werden, in denen slawischsprachige Bevölkerungsgruppen lebten. Wegen dieses Interessensgegensatzes gab es am Wiener Hof viele Stimmen, wie jene des hochrangigen Militärs Franz Conrad von Hötzendorf (M 3), die seit Jahren einen militärischen Präventivschlag gegen Serbien gefordert hatten. Nach der Ermordung des Thronfolgerpaares sahen die Kriegstreiber nun ihre Chance gekommen: Sie setzten sich gegen die Friedensbefürworter durch. Zunächst übermittelten Diplomaten am 23. Juli 1914 ein Ultimatum mit harten Forderungen an Serbien. Serbien lenkte in allen Punkten bis auf einen ein: Es lehnte ab, Österreich-Ungarn an den Untersuchungen rund um das Attentat zu beteiligen. Dies wurde in Belgrad als Eingriff in die staatliche Souveränität verstanden. Nachdem Deutschland seinem Bündnispartner umfassende Unterstützung gegen Serbien zugesagt hatte, erklärte Österreich-Ungarn diesem am 28. Juli 1914 den Krieg. Die Regierungen in Wien und Berlin gingen von einem begrenzten, rasch zu gewinnenden Krieg aus. Sarajevo: Ursache oder Anlass? Das Attentat bildete den Anlass für den Ersten Weltkrieg, nicht aber die Ursache: Diese war vielfältiger, komplexer und hing mit den imperialistischen Rivalitäten zusammen. Sie sorgten dafür, dass sich die Julikrise nicht – wie andere Krisen zuvor – am Verhandlungstisch entschärfen ließ und im Krieg mündete. In Südosteuropa kollidierten gleich mehrere Interessen: Während Serbien ein großserbisches Reich anstrebte, das auch Teile anderer Staaten umfassen sollte, stritten sich Russland, das einen Mittelmeerzugang und die Idee des Panslawismus verfolgte, und Österreich-Ungarn um die Vorherrschaft in der Region. Deutschland verfolgte mit seinem Flottenbauprogramm wiederum das Ziel, imperialistische Großmacht zu werden und seinen Kolonialbesitz zu vergrößern. Genau davon fühlte sich Großbritannien bedroht. Frankreich sann dagegen auf Revanche für die Niederlage im DeutschFranzösischen Krieg 1870/71 und wollte das damals verlorene Elsass-Lothringen zurückerobern. Italien erhoffte sich eine Ausweitung seines Kolonialbesitzes und Gebietsgewinne zulasten ÖsterreichUngarns, mit dem es allerdings noch verbündet war. Neben diesen tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Rivalitäten trugen auch die Bündnisversprechen, der allgemeine Rüstungswettlauf und eine von nationalistischer Propaganda geschaffene kriegsbegeisterte Stimmung dazu bei, dass aus dem regionalen Konflikt in wenigen Tagen ein globaler Flächenbrand ungeahnten Ausmaßes wurde. M 1: Hörbeitrag zum Attentat von Sarajevo von Heiner Wember, 2014. https://www1.wdr.de/ mediathek/audio/ wdr2/wdr2-stichtag/ audio-wdr--stichtag-- --das-attentat-vonsarajewo--100 M 2: Denkmal in Belgrad zu Ehren von Gavrilo Princip, errichtet 2015 am 101. Jahrestag des Attentats von Sarajevo. Foto, 2015. M 3: Straßenschild in der Grazer Innenstadt, Foto, 2022. Panslawismus, der Strömung mit dem Ziel einer kulturellen, politischen und religiösen Einheit aller slawischsprachigen Länder unter russischer Führung. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 MUSTER

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