298 Europa taumelt von Krise zu Krise 7.5 Die Kriege der 1850er- und 1860er-Jahre sowie die Einigungen Italiens und Deutschlands als Nationalstaaten veränderten das seit dem Wiener Kongress (1815) bestehende Mächtesystem. Die imperialistische Politik der Großmächte Europas, die immer wieder in internationalen Krisen gipfelte, trug ebenso dazu bei. Als Resultat bildeten sich gegen Ende des 19. Jahrhundert zwei neue Bündnisse. Dreibund Das erst 1871 geeinte Deutsche Reich wurde rasch zum Schlüsselakteur in der internationalen Politik. 1873 schloss es mit Russland und Österreich-Ungarn das Dreikaiserabkommen, um Frankreich zu isolieren. Das Abkommen scheiterte aber bald. Grund dafür waren Zerwürfnisse zwischen Russland und dem Deutschen Reich, die in der Balkankrise (1876–78) zutage getreten waren. Der Berliner Kongress 1878 konnte die Krise zwar lösen, das Misstrauen aber blieb. Als sich die deutsch-russischen Gegensätze erneut verschärften, endete der Dreikaiserbund. Der Zar, nun ohne Bündnispartner, näherte sich daraufhin dem isolierten Frankreich an und schloss 1894 ein anti-deutsches Bündnis. Das Deutsche Reich vereinbarte dagegen 1879 ein neues Bündnis mit ÖsterreichUngarn: den Zweibund. Drei Jahre später schloss sich diesem Italien an, wodurch daraus erneut der Dreibund wurde. Italien erhoffte sich von den Bündnispartnern Unterstützung für die eigene Kolonialpolitik, die zu Konflikten mit Großbritannien und Frankreich führte. Triple Entente Frankreich und Großbritannien hatten im Zuge der Faschoda-Krise ihre Feindschaft überwunden und sich zur Entente cordiale (s. 7.3) verbündet. 1907 wurde dieses mit dem Beitritt Russlands zur Triple Entente. Die drei Staaten legten ihre eigenen Differenzen vor allem deshalb beiseite, um dem ökonomisch und militärisch aufsteigenden Deutschen Reich begegnen zu können. Großbritannien fürchtete etwa wegen des deutschen Flottenbauprogramms um seine Vormachtstellung auf den Weltmeeren. Krisen und steigende Kriegsgefahr Rivalitäten zwischen den Bündnissen und Wettrüsten machten einen Krieg zu Beginn des 20. Jhs. immer wahrscheinlicher. Während der Marokko-Krise und der Bosnienkrise gelang es gerade noch, einen Krieg abzuwenden. Südosteuropa blieb eine Krisenregion: 1912–1913 entluden sich die Spannungen in zwei Kriegen. Serbien, Bulgarien, Montenegro und Griechenland kämpften zuerst gegen das Osmanische Reich und im Anschluss gegeneinander in zwei aufeinanderfolgenden Balkankriegen. Ein Krieg zwischen Russland und Österreich-Ungarn, die beide die politische Vormachtstellung in Südosteuropa beanspruchten, blieb noch aus. Es schien aber nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es zum Krieg zwischen den fünf Großmächten kommen sollte. Zeitgleich gab es auch Initiativen gegen die Kriegsgefahr: Als Ergebnis der Haager Friedenskonferenzen (1899/1907) wurde ein Schiedsgericht zur Konfliktschlichtung und eine Landkriegsordnung ins Leben gerufen. Diese blieben von geringer Wirkung; die Staaten fühlten sich kaum an sie gebunden. Daneben versuchten Pazifisten, über Schriften und Vorträge gegen den Militarismus zu wirken. Politisch erhoben vor allem die Sozialisten ihre Stimme. Alle Warnungen verhallten ungehört. Landkriegsordnung, die unterscheidet in Kriegen strikt zwischen der bewaffneten Macht und der Zivilbevölkerung. Angehörige beider Gruppen sind im Falle der Gefangennahme als Kriegsgefangene – mit Menschlichkeit – zu behandeln. Verbietet zudem auch den Einsatz von Giftgas. Marokko-Krisen, die bezeichnet die beiden internationalen Krisen um Marokko (1905/06, 1911), bei denen Frankreich und Deutschland den Einfluss im Land stärken wollten. M 1: Bertha von Suttner (1843–1914), österreichische Pazifistin und prominentes Gesicht der Friedensbewegung (1843–1914), Fotografie 1911. 1889 veröffentlichte sie den Antikriegsroman „Die Waffen nieder!“. 1905 erhielt sie als erste Frau den Friedensnobelpreis. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 MUSTER
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