228 M 1: Edmund Burke, Gemälde, 1769. Konservatismus 5.19 Manche Menschen beäugten den sozialen Wandel des 19. Jahrhunderts kritisch und versuchten, das Alte und „Bewährte“ zu erhalten. Ihnen waren liberale Forderungen ebenso fremd wie sozialistische Ideen. Die politische Strömung, die Traditionen bewahren (lateinisch conservare) möchte, nennt man Konservatismus. Die Kernidee und deren Träger Der Konservatismus war die politische Gegenbewegung zu den Grundgedanken der Aufklärung und der Französischen Revolution. Der Konservatismus vertrat nämlich die Idee einer natürlichen Ordnung, die hierarchisch, harmonisch und vor allem gottgegeben sei. Im Weltbild der Konservativen waren Institutionen wie Staat, Gesellschaft, Recht und Kultur geschichtlich gewachsen. Daher könnten diese althergebrachten Institutionen nicht durch Ideen, die von kurzlebigen Menschen ausgedacht wurden, künstlich gelenkt werden. Denn der Mensch solle die traditionelle Ordnung nicht infrage stellen: Monarchie, Kirche und Stände wurden als gottgewollt angesehen und verteidigt. Träger dieser Ideologie fanden sich in allen Gesellschaftsschichten. Ihre Alltagskultur wird oft mit dem Begriff „Biedermeier“ überschrieben. Er steht für den Rückzug ins Private, den Fokus auf Genussfreudigkeit (Theater, Ballsäle, Walzer) und die Pflege des Gesellschaftslebens (in bürgerlichen Salons ebenso wie in den Kaffeehäusern und bei Landpartien). Aber auch das Interesse an der Natur sowie Verständnis für Dichtung und Musik (Hausmusik, Singakademien, Konzerte) sind prägend für das bürgerliche Selbstverständnis des Biedermeiers. Die Feindbilder des Konservatismus Aufgrund dieser Ideen stand der Konservatismus jedem Fortschritt kritisch gegenüber. Zwar wurde nicht jeder Wandel an sich als falsch verurteilt, jedoch musste sich dieser erst über einen längeren Zeitraum als vernünftig erweisen. Konservative Denker gingen auch davon aus, dass es körperliche und geistige Ungleichheit unter den Menschen gab. Daher wurde das Prinzip der Gleichheit, das die Aufklärung propagierte, genauso abgelehnt wie die Vernunft des Einzelnen. Infolgedessen dürfe sich das Individuum auch nicht selbst verwirklichen, sondern sei der Obrigkeit verpflichtet. Daraus ergibt sich, dass der Konservatismus den Liberalismus, der sich den Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution anschloss und dem Fortschritt vertraute, ablehnte. Ebenso galten die Sozialisten als Feinde des Konservatismus, denn diese wollten die bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse umkehren. Denn die Ungleichheit der Menschen hinsichtlich ihres Eigentums, die die Sozialisten bekämpften, wurde von den Konservativen ebenso als gottgegeben angenommen. 25 30 35 40 45 50 55 60 5 10 15 20 M 2: Edmund Burke (M 1), Vordenker des Konservatismus, spricht über Revolutionen, speziell über die Französische: Nichts anderes als diese Ungeschicklichkeit mit Schwierigkeiten zu ringen hat die despotische Versammlung in Frankreich genötigt, ihre Verbesserungspläne mit Ausrottung und Zerstörung anzufangen. Aber zeigt sich denn irgendeine Kunst im Niederreißen und Abtragen? […] Wut und Verblendung können in einer halben Stunde mehr niederreißen, als Klugheit, Überlegung und weise Vor(aus)sicht in hundert Jahren aufzubauen im Stande sind. […] Zugleich zu erhalten und zu verbessern – das ist eine Aufgabe anderer Art. Wenn die brauchbaren Teile einer alten Verfassung beibehalten werden, und das, was hinzukommt zu dem, was bleibt, passen soll, dann muss wahre Geisteskraft […] und jedes schöpferische Talent eines fruchtbaren Kopfs in Bewegung gesetzt werden. Edmund Burke, Betrachtungen über die Französische Revolution, 2. Teil, S. 10–12 (dt. Übersetzung von F. Gentz, Berlin 1793). Q MUSTER
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