Denkmal 5/6 + E-Book

220 Die soziale Frage: Armut in den Städten 5.15 Der Begriff „soziale Frage“ beschreibt die Verelendung großer Bevölkerungsteile im Zusammenhang mit der industriellen Revolution. Denn diese traf eine Gesellschaft, die völlig unvorbereitet war und erst spät auf die drängenden Aufgaben – rasantes Städtewachstum, katastrophale Arbeitsbedingungen und deren Folgen – reagieren konnte. Probleme der Urbanisierung Das Anwachsen von Dörfern zu Städten und Städten zu Großstädten verlief so rasant (z. B. verdoppelte Wien seine Einwohnerzahl zwischen 1846 und 1880), dass die Städte diesem Ansturm nicht gewachsen waren. Es gab zu wenig (und deshalb auch sehr teuren) Wohnraum, weshalb sich die Armen in Slums zusammenzwängten. Als (verspätete) Reaktion entstanden ab der Mitte des 19. Jhs. Mietskasernen, in denen mehrköpfige Familien auf kleinstem Raum lebten. Die hygienischen Zustände waren aber kaum besser als in den Slums. Meist gab es nur eine Toilette am Gang, die Wohnungen waren dunkel, feucht und kalt. Außerdem vermieteten viele Mieter ihre Betten an sogenannte Bettgeher, die nur zum Schlafen in die Wohnung kamen, dadurch jedoch die Verbreitung von Krankheiten förderten. Lösungsversuche Es gab verschiedene Versuche, Antworten auf die soziale Frage zu finden. Arbeiterinnen und Arbeiter schlossen sich zu Gruppen zusammen und versuchten, durch kollektives Sparen eine Art Versicherung bereitzustellen. Diesen Weg schlug auch die katholische Kirche ein: Sie gründete vor allem in Deutschland Arbeitervereine mit dem Hauptziel, die Arbeiterinnen und Arbeiter zu einer katholischen Lebensführung zu bringen und ihnen Unterstützung in Form von Krankenkassen und Ähnlichem zu gewähren. Daneben vereinigte sich die Arbeiterschaft in Arbeiterbewegungen und in späterer Folge in Arbeiterparteien, um eine Lösung auf politischer Ebene einzufordern (s. 5.17). Manche Arbeitgeberinnen und -geber versuchten, durch persönliche Fürsorge dem Elend ihrer Angestellten entgegenzuwirken. So entstanden z. B. Arbeitersiedlungen mit Schulen und Einkaufsmöglichkeiten rund um den Arbeitsplatz. Die auf lange Sicht gesehen erfolgreichsten Lösungsansätze bot der medizinischtechnische Bereich. Im 19. Jh. wurde der Zusammenhang zwischen verseuchtem Wasser und Krankheiten (vor allem Cholera, M 1) erkannt. In Folge wurden Abwasserkanäle errichtet und Frischwasserzufuhr gewährleistet. Allmählich wurden die Erkenntnisse der Medizin und der Hygiene gesundheitspolitisch umgesetzt. Auswanderung Viele Menschen versuchten, aus Mangel an Alternativen ihr Leben durch Emigration zu verbessern. Den meisten Migrantinnen und Migranten im 19. Jh. galt Amerika als Hauptziel, da sie sich durch die starke amerikanische Wirtschaft schnelle Aufstiegsmöglichkeiten erhofften. M 1: „Cholera verseuchter Brunnen“, Zeichnung eines unbekannten Künstlers, aus: Viktorianisches Wochenmagazin „Fun“, 18. August 1866. 5 10 15 20 25 30 35 40 60 45 50 55 MUSTER

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjg5NDY1NA==