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194 Die politischen Auswirkungen der Aufklärung 5.2 Ähnlich wie in der Wissenschaft hatte das aufklärerische Denken auch im gesellschaftspolitischen Bereich weitreichende Auswirkungen. Das Verlangen nach Freiheit, Gleichheit und der rechtlichen Absicherung des Einzelnen forderte die absolutistischen Herrschaftsideen radikal heraus. Der moderne, liberale Rechtsstaat war erfunden. Volkssouveränität und das Recht auf Widerstand John Locke beschäftigte sich auch mit dem Verhältnis zwischen Staat und Individuum. In seinem Hauptwerk „Two Treatises of Government“ (1689) beschreibt er die Gesellschaft als Ergebnis eines Vertrags zwischen gleichen, freien und besitzenden Individuen. Der Staat hat die Aufgabe, die natürlichen Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum zu schützen. Das Volk, nicht der absolute Monarch, ist die eigentliche Macht im Staat. Sowohl Locke als auch der Franzose Jean-Jacques Rousseau (M 1) in seinem Hauptwerk „Du contrat social“ (Vom Gesellschaftsvertrag, 1762) sprachen dem Volk das Recht auf Widerstand gegen die Herrschenden oder die Regierung zu, wenn diese ihre Pflichten nicht erfüllten. Die Gewaltenteilung Locke hatte auch bereits die Teilung von Gesetzgebung (Legislative) und deren Ausführung (Exekutive) gefordert, um nicht zu viel Macht in die Hände Einzelner zu legen. Charles de Montesquieu fügte als dritte „Staatsgewalt“ noch die Judikative (die richterliche Gewalt) hinzu, wodurch der unabhängige Schutz der Rechte garantiert wurde. Damit waren die Grundlagen des modernen liberalen Rechtsstaats geschaffen. Gleichheit, Freiheit, Toleranz Die Überzeugung von der Gleichheit und Freiheit aller Menschen mündete in der Kritik an der Kirche und in der Forderung nach religiöser Toleranz, mit der vor allem der Name Voltaire verbunden wird. Die Gleichstellung der Religionen war eine der wichtigsten Folgen der Aufklärung. Im heutigen Österreich wurde die freie Ausübung von Protestantismus und Judentum durch die „Toleranzpatente“ (1781/82) Kaiser Josephs II. teilweise erleichtert. Auch die Forderung nach Bildung wurde von vielen „aufgeklärten“ Herrscherinnen und Herrschern übernommen. 1774 wurde wie in anderen Teilen Europas auch in den habsburgischen Ländern die Unterrichtspflicht eingeführt. Die Universitäten hatten zwar in der Zeit der Aufklärung eine eher untergeordnete Rolle gespielt (mit Ausnahme des heutigen Deutschlands), als deren Folge wurden sie aber staatlich gefördert und erlangten eine wichtige Führungsposition in der wissenschaftlichen Forschung. Die Grenzen der Aufklärung Das aufklärerische Denken war auf Vernunft und Nützlichkeit ausgerichtet. Bald wurde als „Herrschaft der Vernunft“ verordnet, was richtig und sinnvoll war. Dadurch wurde die persönliche Freiheit des Einzelnen wieder eingeschränkt und die geforderten Ideale wieder durch den staatlichen Zwang zur Nützlichkeit verhindert. Diese Entwicklung wurde vor allem von Rousseau kritisiert, der sich kompromisslos für die Selbstbestimmung des Individuums einsetzte. Dem Fortschrittsglauben der Aufklärung setzte er das Ideal des Naturzustands entgegen, das durch Gesellschaft und Kultur zerstört werde. Diese kritische Haltung der Aufklärung gegenüber teilten viele spätere, auch heutige Philosophinnen und Philosophen. Sie kritisieren vor allem die ausschließliche Rationalität und sahen bzw. sehen darin eine Wurzel des Totalitarismus des 20. Jhs. (s. Bd 7/8). M 1: Jean-Jacques Rousseau (1712– 1778), Porträt von Maurice Quentin de La Tour, 1753. 5 10 15 40 45 50 20 25 55 60 65 70 75 30 35 MUSTER

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