178 Denk anders! Hispaniola und die „neue Welt“ nach Kolumbus 4.32 Was in Europa als Geschichte der „Entdeckung“ erzählt wird, war aus Perspektive der indigenen Bevölkerung der Beginn von Unterdrückung, Mord und Sklaverei. Bahamas, im Dezember 1492 Als die Lucayanerinnen und Lucayaner am 6. Dezember 1492 drei Schiffe vor ihrer Insel erblickten, ahnten sie nicht, dass sie von Spaniern entdeckt worden waren. Sie waren die indigenen Einwohnerinnen und Einwohner der Insel, der Kolumbus später den Namen San Salvador gab. Für sie war es nicht der 6. Dezember 1492 und für sie brach auch nicht das „Zeitalter der Entdeckungen“ an, sondern ein Zeitalter der Unterdrückung und Verfolgung. Kolumbus selbst blieb mit seiner Mannschaft nur kurz auf der Insel, ehe er weiter zur nächsten Insel aufbrach. Seine bahnbrechende „Entdeckung“ eröffnete aber nicht nur einen völlig neuen Blick der Europäerinnen und Europäer auf die Welt, sondern brachte vor allem ungeahnte negative Auswirkungen für die „Entdeckten“. Die Folgen für die indigenen Bevölkerungen Der Lebensstil in Europa beinhaltete eine lange Geschichte des Austauschs mit domestizierten Tieren, von denen ursprünglich viele Krankheiten übertragen wurden. Im Gegensatz zur indigenen Bevölkerung Amerikas hatten die Europäerinnen und Europäer daher Antikörper entwickelt. Der plötzliche intensive Kontakt mit den Europäerinnen und Europäern nach 1492 setzte die indigenen Bevölkerungen eurasischen Keimen aus. Eine Reihe von Epidemien wurde nach Amerika eingeschleppt und tötete Millionen Menschen, bis zu 95 Prozent der indigenen Bevölkerung. Erhebliche Verluste der indigenen Bevölkerung in der Karibik sind auch auf die weit verbreitete Sklaverei und die tödliche Zwangsarbeit in Gold- und Silberminen zurückzuführen (s. 4.13). Zeitraum Krankheit verbleibender Anteil der indigenen Bev. in % 1492 – 100,0 1493–1514 Grippe 80,0 1519–1528 Pocken 53,3 1531–1534 Masern 40,6 1545–1546 Typhus, Lungenpest 27,8 1557–1563 Masern 23,4 1576–1591 Pocken, Masern, Typhus 13,2 M 2: Folgen der europäischen Besiedelung für die indigene Bevölkerung Amerikas; Daten aus Praxis Geschichte 6/2017, S. 16 nach Bernhard, Roland: Geschichtsmythen über Hispanoamerika, S. 184 f. M 3: Der Historiker Stefan Rinke beschreibt den Rückgang der Bevölkerung nach dem Eintreffen der Europäer: Die Schätzung zur Gesamtzahl der indianischen Bevölkerung, die zum Zeitpunkt der ‚Entdeckung‘ in der Neuen Welt lebte, divergieren erheblich und sind in der historischen Forschung seit langem umstritten. Für das spätere Hispanoamerika erscheint ein Richtwert von rund 3540 Mio. plausibel […] und für Brasilien zwischen 500 000 und 2,5 Mio. Allein in Hispanoamerika ging die indigene Bevölkerung im Lauf der folgenden gut 150 Jahre insgesamt um circa 90% zurück. […] Auf den Karibikinseln wie v. a. der Insel Hispaniola kann man regelrecht vom Aussterben der Urbevölkerung sprechen. Rinke, Stefan: Demografische Katastrophe. In: In: Friedrich Jaeger (Hrsg.) Enzyklopädie der Neuzeit. Stuttgart: J.B. Metzler, 2005 (Bd. 2), S. 895–899. D 5 10 15 20 25 30 35 M 1: Christoph Kolumbus (1451– 1506), Gemälde von Sebastiano del Piombo, 1519. Lucayanerinnen, die; Lucayaner, die indigene Bevölkerung der Lucayischen Inseln, die zu den Bahamas gehören MUSTER
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