129 M 2: EmmanuelJoseph Sieyès (1748–1836), franz. Revolutionär und Politiker, Lithographie, 1825 von François Séraphin Delpech nach einer Zeichnung von Nicolas Eustache Maurin. 40 45 50 55 Neuzeit Die Entstehung der Klassengesellschaft Jahrhundertelang war die Geburt dafür ausschlaggebend gewesen, welche Chancen man im Leben hatte. Sie entschied wesentlich über den sozialen Status und den individuellen Lebensweg. Sozialer Aufstieg über die Standesgrenzen hinweg war beinahe unmöglich – der Abstieg, etwa vom freien zum unfreien Bauern, aber nicht selten. Um 1800 veränderten zwei Entwicklungen diese soziale Ordnung: Einerseits war im aufkommenden Industriezeitalter nun der Besitz zum wichtigsten Merkmal geworden, das über den sozialen Rang einer Person entschied. So entstanden neue gesellschaftliche Gruppen oder „Klassen“: das besitzende Bürgertum und diejenigen, die „nur“ ihre Arbeitskraft besaßen, die Arbeiterschaft. Auf dem Weg zur offenen Gesellschaft? Andererseits hatte die Französische Revolution die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz erreicht. Die rechtliche Gleichstellung sollte auch allen Menschen dieselben Möglichkeiten in ihrer Lebensgestaltung eröffnen. Diese „offene“ Gesellschaft blieb aber eine Idealvorstellung, denn bis heute bestimmt die Zugehörigkeit zu dieser oder jener gesellschaftlichen Gruppe die „vertikale Mobilität“, also den sozialen Auf- oder Abstieg. Der Lebensweg einer Person ist nach wie vor abhängig von ihrem persönlichen „Kapital“ – also ihren finanziellen, bildungsbezogenen, aber auch familiären und sozialen Möglichkeiten. 60 65 70 M 3: Emmanuel Joseph Sieyès (M 2), neben Jean-Jacques Rousseau einer der wichtigsten Vordenker der Französischen Revolution, schreibt in seinem bekannten Text „Was ist der Dritte Stand?“ (1789): Wer wagte es also zu sagen, dass der Dritte Stand nicht alles in sich besitzt, was nötig ist, um eine vollständige Nation zu bilden? Er ist der starke und kraftvolle Mann, der an einem Arm noch angekettet ist. Wenn man den privilegierten Stand [also den Adel] wegnähme, wäre die Nation nicht etwas weniger, sondern etwas mehr. Also, was ist der dritte Stand? Alles, aber ein gefesseltes und unterdrücktes Alles. Was wäre er ohne den privilegierten Stand? Alles, aber ein freies und blühendes Alles. Nichts kann ohne ihn gehen; alles ginge unendlich besser ohne die anderen. Wolfgang Lautemann (Hrsg.), Geschichte in Quellen, Bd. 4: Amerikanische und Französische Revolution, München 1981, S. 164. Q 1. Begründen Sie mithilfe des Darstellungstextes die im Laufe der Neuzeit zunehmende politische Bedeutung des Bürgertums. 2. Beschreiben Sie das in M 1 dargestellte städtische Leben des 16. Jhs. 3. Analysieren Sie die Quellen M 1 und M 3 hinsichtlich eines gestärkten bürgerlichen Selbstbewusstseins. 4. Nehmen Sie zu der Aussage oben Stellung, die „offene“ Gesellschaft sei auch heute noch eine Idealvorstellung (Zeile 63 ff.). MUSTER
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