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104 Denk anders! Die Expansion des christlichen Westens 3.21 „Orient“ und „Okzident“ Als Folge der Kreuzzüge erlebten oberitalienische und südfranzösische Seestädte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Es etablierte sich ein reiches Bürgertum; der Lebensstandard stieg. Dieses reiche Bürgertum nährte eine stetig wachsende Nachfrage nach Produkten aus dem „Orient“. Die Europäer profitierten stark vom antiken Wissen, das in den arabischen Kulturen weiterentwickelt worden war. Medizin, Philosphie und Technik wurden nach Europa getragen. Dadurch kam es zu einer Aufwertung der christlichen „abendländischen“ Kultur. Das Abendland oder der „Okzident“, andere Worte für „den Westen“, wurden über die Kulturen des sogenannten „Ostens“, des „Orients“, gestellt. Es handelt sich dabei um eine problematische Perspektive, die bis heute im europäischen Denken Nachhall findet. 5 10 Vom 11. bis 13. Jahrhundert führten die sieben sogenannten Kreuzzüge das machtgetriebene christliche Europa in den Nahen Osten. Die Folge war eine Gegenüberstellung von „Okzident“ und „Orient“. M 2: Der arabische Historiker Ibn al-Athīr berichtet über die Einnahme Jerusalems (um 1230): Die Einwohner wurden ans Schwert geliefert, und die Franken blieben eine Woche in der Stadt, während derer sie die Einwohner ermordeten. In der Al-AqsaMoschee töteten die Franken mehr als siebzigtausend Muslime, unter ihnen viele Imame, Religionsgelehrte, Fromme und Asketen, die ihr Land verlassen hatten, um in frommer Zurückgezogenheit an diesem heiligen Ort zu leben. Aus dem Felsendom raubten die Franken mehr als 40 Silberleuchter […] und andere unermessliche Beute. Die Flüchtlinge erreichten Bagdad im Ramadan. […] In der Kanzlei des Kalifen gaben sie einen Bericht, der die Augen mit Tränen füllte und die Herzen betrübte über das, was die Muslime in der erhabenen Stadt Jerusalem erlitten hatten: die Männer getötet, Frauen und Kinder gefangen, alle Habe geplündert. Zit. nach Gabrieli, Francesco (Hrsg.): Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht. München 1976, S. 49 f. Aus dem Italienienischen von Barbara von KaltenbornStachau unter Mitwirkung von Lutz Richter-Bernburg. Q M 3: Der arabische Schriftsteller und Diplomat Usama ibn Munqidh über das Zusammenleben mit den fremden Europäern (um 1175): Einmal schickte ich einen Gefährten zu einem Geschäft nach Antiochia [und der Verkäufer] sagte eines Tages zu meinem Gefährten: „Ein fränkischer Freund hat mich eingeladen. Komm doch mit, dann siehst du ihre Gebräuche.“ – „Ich ging mit“, erzählte mein Freund, „und wir kamen zum Hause eines der alten Ritter, die mit dem ersten Zug der Franken gekommen waren. […] Er ließ einen schönen Tisch bringen mit ganz reichlichen und vorzüglichen Speisen. Als er sah, dass ich nicht zulangte, sagte er: ‚Iß getrost, denn ich habe ägyptische Köchinnen und esse nur, was sie zubereiten; Schweinefleisch kommt mir nicht ins Haus.‘ Später überquerte ich den Markt, als eine fränkische Frau mich belästigte und in ihrer barbarischen Sprache mir unverständliche Worte hervorstieß. Eine Menge Franken sammelten sich um mich, und ich war schon meines Todes sicher; da erschien der Ritter und sagte zu der Frau: ‚Was hast du mit diesem Muslim?‘ – ‚Er hat meinen Bruder Urso getötet!‘ erwiderte sie. Er fuhr sie an: ‚Das hier ist ein Bürger, ein Kaufmann, der nicht in den Krieg zieht und sich nicht aufhält, wo man kämpft.‘“ Zit. nach Gabrieli, Francesco (Hrsg.): Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht. München 1976, S. 121 f. Aus dem Italienienischen von Barbara von KaltenbornStachau unter Mitwirkung von Lutz Richter-Bernburg. Q M 1: Die Einnahme Jerusalems, Miniatur, anonym, 13. Jh. MUSTER

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