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90 Wechselwirkungen zwischen Religion und Herrschaft 3.5 Militärische Auseinandersetzungen im Nahen Osten: die Kreuzzüge Vom Ende des 11. Jhs. bis zum 13. Jh. führten westeuropäische Christen (hauptsächlich aus Frankreich) sogenannte „Kreuzzüge“ zur Eroberung oder Wiedergewinnung Palästinas, des „Heiligen Landes“. Pilgern und Kämpfen Die Kreuzzüge verbanden den mittelalterlichen Wallfahrtsgedanken mit kriegerischen Absichten. Sie wurden von den Päpsten angeregt oder gefördert und durch feierliche Gelübde begründet. Den Kreuzfahrern verschaffte die Teilnahme an den Kriegen Bußvorteile (Erlass von Strafen für begangene Sünden) und die Sicherung ihres Besitzes in der Heimat (Schuldenerlass). 1. Kreuzzug (1096–1099) – Kreuzfahrerstaaten Nach dem Aufruf von Papst Urban II. brachen im Frühjahr 1096 vor allem nicht ritterliche Kreuzfahrer auf. Sie überfielen auf ihrem Weg nach Jerusalem in ihrer Wut gegen Ungläubige die jüdischen Gemeinden in Lothringen, dem Rheinland und dem Donautal und töteten deren Mitglieder. Im Juli 1096 erreichten sie Konstantinopel. Die barbarische Horde entsetzte die kultivierte byzantinische Hofgesellschaft: Der Großteil der Kämpfer – beim 1. Kreuzzug ca. 130 000 Menschen – waren Bauern und Städter, die von einer Woge „mörderischer Begeisterung“ ergriffen worden waren. Die Byzantiner leiteten die Kreuzfahrer durch das seldschukisch beherrschte Anatolien weiter. Streitigkeiten unter den muslimischen Fürsten ermöglichten Erfolge der christlichen Kämpfer. 1099 belagerte und eroberte das Kreuzfahrerheer Jerusalem, wobei zehntausende Muslime, Juden und orientalische Christen grausam ermordet wurden. Als Folge des 1. Kreuzzuges entstanden die „Kreuzfahrerstaaten“. Kreuzzüge – heilige Kriege? Wie bei allen mittelalterlichen Kriegen war es ein vorrangiges Ziel der Kämpfenden, Beute (Land, Waffen, Reliquien) zu machen. Der grundbesitzenden Kriegerkaste, den Rittern, gaben die Kreuzzüge außerdem Gelegenheit, ihre besonderen Fähigkeiten als hochprofessionelle Einzelkämpfer, die mit schweren Waffen und in voller Rüstung kämpften, unter Beweis zu stellen. Die Kreuzzüge unterschieden sich in keiner Weise von anderen Kriegen dieser Zeit, sie waren Raubzüge und die Kreuzfahrer verwüsteten das Land. Kreuzzugsaufruf von Urban II. (Clermont, 27. November 1095) 1040 wurden die Seldschuken – türkische Nomaden, die sich erst kurz zuvor zum sunnitischen Islam bekehrt hatten und nun Byzanz bedrohten – zu einem neuen Machtfaktor in der arabischen Welt. Der byzantinische Kaiser wandte sich mit der Bitte um militärische Hilfe an den Papst, und Urban II. rief 1095 auf dem Konzil von Clermont (Frankreich) die westliche Christenheit dazu auf, ihren Glaubensbrüdern zu Hilfe zu kommen. Der französische Papst verstand es, die Gefühle seiner Zuhörer zu wecken. Der Chronist und Augenzeuge Fulcher von Chartres, ein Priester und späterer Kreuzzugsteilnehmer, zeichnete die vom Papst gehaltene Rede einige Jahre später auf: Vielgeliebte Brüder! Es ist unabweislich, unseren Brüdern im Orient eiligst die so oft versprochene und so dringend notwendige Hilfe zu bringen. Die Türken und die Araber haben sie angegriffen und sind in das Gebiet von Romanien [Byzantinisches Reich] vorgestoßen […], sie […] haben eine große Anzahl von ihnen getötet und gefangen genommen, haben die Kirchen zerstört und das Land verwüstet. […] Deshalb bitte und ermahne ich euch, und nicht ich, sondern der Herr bittet und ermahnt euch als Herolde Christi, die Armen wie die Reichen, dass ihr euch beeilt, dieses gemeine Gezücht aus den von euren Brüdern bewohnten Gebieten zu verjagen und den Anbetern Christi rasche Hilfe zu bringen […]. Wenn diejenigen, die dort hinunter ziehen, ihr Leben verlieren, auf der Fahrt, zu Lande oder zu Wasser oder in der Schlacht gegen die Heiden, so werden ihnen in jener Stunde ihre Sünden vergeben werden, das gewähre ich nach der Macht Gottes, die mir verliehen wurde […]. Mögen diejenigen, die vorher gewöhnt waren, in privater Fehde verbrecherisch gegen Gläubige zu kämpfen, sich mit den Ungläubigen schlagen […] und mögen diejenigen, die bis jetzt Räuber waren, Soldaten werden […]. Pernoud, Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten, S. 21 f. Aufgaben 1 Ermitteln Sie die Bedeutung der Begriffe „Orient“ und „Naher Osten“, vergleichen Sie die Definitionen und arbeiten Sie Überschneidungen und Unterschiede heraus. (HS) 2 Bewerten Sie die Perspektive von Fulcher von Chartres bei der Wiedergabe der Rede von Papst Urban II. und gehen Sie dabei besonders auf Schritt 3 der „Arbeit mit Textquellen“ ( S. 129) ein. (HM) MUSTER

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