56 Kulturkontakte im mediterranen Raum Warum kam es zum Konflikt mit Rom? Karthago scheint sich schon sehr früh um eine Verständigung mit den Römern bemüht zu haben. […] Ich persönlich glaube nicht an große außenpolitische Konzepte der Römer, sondern es waren Beutekriege, die Sozialrenommee schufen. Welche strategischen Fehler haben die Karthager in der Kriegsführung gemacht? Die Karthager verlieren, weil sie die Fähigkeit der Römer zur Anpassung an neue Situationen offen sichtlich unterschätzen. Die Römer sind in der Lage, sehr schnell die Seekriegsführung, zunächst den Schiffsbau, von den Karthagern zu erlernen. Sie sind in der Lage, sehr schnell große Flotten aufzustellen, was wiederum an der Identifikation der Oberschichten mit dem Staat liegt, und sie sind in der Lage, durch die Erfindung der Ent er- brücke den Seekrieg in einen Landkrieg zu verwandeln. Denn sie waren keine großen Seefahrer. Der zweite Punkt ist die Fähigkeit der Römer, auch nach großen Niederlagen immer wieder Heere ins Feld zu schicken, und auch der Wille, Kriege bis zum Letzten durchzufechten. Und Hannibal hat es nicht geschafft, die römischen Bundesgenossen von Rom zu trennen. War Hannibal wirklich ein so großer Feldherr? Oder ist das eher von den Römern aufgebauscht worden, um noch größer dazustehen? Das Hannibalbild ist durch die Historiografie und die lange Rezeptionsgeschichte stark verzerrt. Hannibal war als Feldherr ganz offensichtlich den Römern taktisch und operativ überlegen, dass er strategisch keinen Erfolg hatte, ist letztendlich nicht in seiner Verantwortung. Der berühmte Alpenübergang, da hatte Hannibal keine andere Wahl, als das zu tun, das ist keine strategische Genialität, es war eher das verzweifelte Bemühen, Rom von Afrika und Spanien fernzuhalten. Aber in Italien selbst war er offensichtlich taktisch und operativ überlegen. Was er an Kriegslisten macht, z. B. soll er 2 000 Rindern Fackeln an die Hörner gebunden haben, um den Abzug seiner Truppen vorzutäuschen, wird ihm nicht als gute Kriegslist, sondern als punische Hinterlist ausgelegt. Als 146 v. Chr. Karthago zerstört wurde was machten da die Karthager selbst? Flüchteten sie oder wurden sie versklavt? Fakt ist, dass die Archäologen vom punischen Karthago so furchtbar viel nicht mehr finden. Auf der anderen Seite ist es später wieder als römische Kolonie aufgebaut worden und wird zu einer der reichsten Städte wiederum im Römischen Reich. Insofern ist das punische Karthago total überformt. Die Römer reagieren ja sehr, sehr hart nach 146. Denn die komplette Zerstörung von Städten ist in der antiken Welt etwas, was nicht so häufig vorkommt. Die Römer zerstören sogleich zwei Städte, nicht nur Karthago, sondern auch Korinth. Sie wollen offensichtlich ein Exempel statuieren, sie wollen für Ruhe sorgen. Man muss die Zerstörung Karthagos im Kontext mit Korinth sehen. Was passiert mit den Karthagern? Die werden versklavt, das Übliche, was mit der Bevölkerung passiert. Man statuiert ein Exempel an der Stadtbevölkerung, inwieweit davon das „platte Land“ betroffen war, ist eine Sache, die sich unseren Kenntnissen entzieht. Die Tatsache, dass die Kontinuität der punischen Sprache mindestens bis ins 4. Jh. n. Chr. reicht, sollte zur Vorsicht Anlass geben. Was würden Sie Schülern und Schülerinnen noch gerne zu Karthago mitteilen? Gerade bei Karthago ist es angebracht, die Bücher, die es darüber gibt, mit großem kritischen Bewusstsein zu lesen, weil die meisten Veröffentlichungen bewusst oder unbewusst einen griechischen oder römischen Standpunkt einnehmen. Vielen Dank für das Gespräch. Aufgaben 1 Wählen Sie aus dem Interview mit Prof. Kai Ruffing drei besonders interessante Informationen aus und begründen Sie Ihre Wahl. (HM) 2 Nehmen Sie Stellung zur Meinung, Karthago sei eine „lost civilisation“ – d. h. eine verloren gegangene Kultur. (HO) 56.1 Phönizisches Handelsschiff, 2. Jh. n. Chr., Relief an der Schmalseite eines Sarkophags. MUSTER
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