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55 Expertengespräch: Kathargo Es gibt keine schriftliche Überlieferung der Karthager selbst. Haben sie keine historischen oder literarischen Werke geschrieben oder ist alles verloren gegangen? Das ist so nicht richtig. Es gibt natürlich phönizische Inschriften, es gibt auch karthagische, z. B. Inschriften mit religiösem Inhalt, Grabinschriften, und literarische Werke haben sie auch geschrieben, eines ist nach der Zerstörung Karthagos sogar auf Senatsbeschluss ins Lateinische übersetzt worden, der „Mago“ [Buch über die Landwirtschaft]. Aber wir haben nichts mehr davon. Das Punische als Sprache gibt es noch im 4. Jh. in der breiten Bevölkerung in Nordafrika. Der hl. Augustinus beklagt sich sogar darüber, dass die auf dem Lande Lebenden noch Punisch sprechen und von der Christianisierung sozusagen verschont worden sind. Die Sprache lebt weiter, es gibt auch nicht das Karthagische. Das Punische, das man in Nordafrika spricht, verhält sich zu dem in der Levante gesprochenen wie „Österreichisch“ zu Deutsch. Karthago war eine Hochkultur. Welche speziellen Charakteristika könnte man erwähnen? Die Frage muss anders gestellt werden. Denn es geht nicht nur um Karthago, es geht um eine phönizische bzw. punische Gesamtkultur, von der Karthago eine sehr auffällige Vertreterin ist, aber eigentlich darf man nicht den Fehler machen, das zu tun, was unsere antiken Quellen tun, nämlich sich auf Karthago zu konzentrieren, denn Karthago ist Bestandteil eines größeren Kulturzusammenhanges. Wenn man jetzt Karthago, die Karthager, die Punier, die Phönizier als Kultur kennzeichnen will, dann sind sie sicherlich eine Kultur der Seefahrer, eine Kultur der Handwerker, eine Kultur der Händler, sie sind aber auch eine Kultur, die Landwirtschaft auf einem hohen Niveau betreibt. Nicht ohne Grund ist der „Mago“ ins Lateinische übersetzt worden. Darin konnte man sehen, wie man Landwirtschaft in trockenen, heißen Zonen betreibt. Speziell das Metallhandwerk der Karthager ist auf einem sehr hohen Niveau. Ist dieser Kulturzusammenhang sehr eng oder macht Karthago auch eine eigenständige Entwicklung durch? Das ist eine gute Frage, die auch in der Forschung diskutiert wird. Es gibt das übliche Bild, dass irgendwann das, was westphönizisch ist, einer karthagischen Übernahme anheimfällt, also dass Karthago sozusagen Tyros [phönizische Stadt] als Vormacht ablöst. Es ist sicherlich richtig, dass Karthago eine große Zentralitätsfunktion für die westpunischen Siedlungen hat. Auf der anderen Seite zahlen die Karthager, solange sie bestehen, immer noch ihre Abgaben nach Tyros, das sind religiöse Abgaben. Das zeigt sehr gut, wie starke Bindungskräfte noch da sind. Was taten Karthager in ihrer Freizeit? Waren sie sportbegeistert oder eher kulturell interessiert? Freizeit ist ein modernes Konzept. Wir wissen über karthagische Alltagskultur eigentlich so gut wie gar nichts. Ein Theater ist z. B. in Karthago überhaupt nicht nachgewiesen. Man kann dazu eigentlich nichts sagen. Was dachten die Karthager über die Römer? Wir wissen schlicht nichts darüber. Ich nehme mal an, dass man nicht fehlgehen wird in der Annahme, dass das, was die römische und griechische Geschichtsschreibung in der Gestalt des Polybios [griechischer Historiker] den Karthagern unterstellt – eine fortläufige Vertragsbrüchigkeit nämlich –, dass die Karthager den Römern genau das unterstellen. Schon der 1. Punische Krieg resultiert aus einem klaren Vertragsbruch der Römer gegenüber den Karthagern und nicht umgekehrt. Ein Karthago-Spezialist steht Rede und Antwort Interview mit Prof. Dr. Kai Ruffing, Professur für Alte Geschichte Universität Kassel MUSTER

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